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566 Psychische Studien. XXVI. Jahrg. 10. Heft (Oktober 1899.)
Wenn man bei diesem Falle annimmt, dass die beziehende
Person bei der Wahl einer bestimmten Nummer durch
Telästhesie geleitet wurde, und dass ferner die Telepathie
sie mit der Person, die die Ahnung hatte, in Verbindung
gebracht hat, so kommen wir wieder zu der Kategorie der
telepathischen Ahnungen, die sich auf die Handlungen einer
anderen Person beziehen, einer Kategorie, von der wir
schon gesprochen haben. Hier werden zwei Auslegungen
möglich sein: Entweder wird die (unterbewusste) Vorstellung
der zu ziehenden Nummer bei Demjenigen auftreten, der
die Ziehung ausführt und von ihm schon vorher dem andern
mitgetheilt werden, oder der Gedanke taucht bei der Person
auf, die die Ahnung hat, und dieselbe suggerirt auf telepathischem
Wege dem andern die Thätigkeit, die der letztere
(natürlich immer automatisch) dann mit Hülfe der Telästhesie
ausführt.*)
Aber die Telepathie und Telästhesie, ob sie nun einzeln
oder zusammen wirken, genügen noch nicht, um allen möglichen
Fällen von Ahnung Rechnung zu tragen. Damit
diese beiden Phänomene für eine Ahnung zur Erklärung
dienen können, ist es nothwendig, dass vor dem Ereigniss
entweder in Form eines Gedankens oder in einer gewissen
Anordnung der Materie irgend eine für das Ereigniss vorbereitende
Bedingung vorhanden sei, die ihrer Art nach
unmittelbar zur Ahnung führen kann, und zwar mit Hülfe
intellektueller Mittel, die normaler Weise der Person zur
Verfügung stehen.
Giebt man einmal zu, dass wir vermittelst der Telepathie
oder Telästhesie die Gedanken einer entfernten
Person, oder einen Baumstamm, der quer über die Schienen
einer Eisenbahn gefallen ist, wahrnehmen können, so braucht
man gar keinen andern Erklärungsgrund für eine Ahnung
zu suchen, die sich auf das künftige Verhalten der betr.
Person oder auf eine nahe bevorstehende Entgleisung bezieht
. Eine neue Schwierigkeit bietet sich dagegen, wenn
das künftige Ereigniss keine subjektiven oder objektiven
Antecedentien hat, die unmittelbar durch das bekannte
Schlussverfahren zur Ahnung führen könnten.
*) Weon jemand an der eomplizirten Art dieser Erklärungen An-
stoss nehmen sollte, so will ich nur daran erinnern, dass es sich hier
nicht darum handelt, die Wahrscheinlichkeit, sondern nur die Möglichkeit
einer Erklärung lür diese Art von Ahnungen mit Hülfe von
Hypothesen zu erweisen, die zum Iheü als thatsächlich angenommen
werden können (Telepathie), zum Theil einige Wahrscheinlichkeit
haben es später zu werden (Telästhesie). (Schluss tolgt.)
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