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Bohn: Der Begriff des Supernormalen in der Psychologie, 567
IL Abtheilung.
Theoretisches und Kritisches.
Der Begriff des Supernormalen in der Psychologie.
Von Dr. Erich Hohn.
Mittheilung aus der Gesellschaft für psychische
Forschung zu Breslau.
Der Begriff des Supernormalen ist von dem
englischen Psychologen W. H. Myers in die Psychologie
eingeführt worden. Er versteht darunter („Proceedings of
the Society for Psyehical Researchs" Part 30. Vol. 12. (1896.)
S. 174): „eine Fähigkeit oder eine Erscheinung, die ihrer
Entwickelung nach jenseits der Grenze gewöhnlicher Erfahrung
liegt, oder die zu einer transscendentalen Welt gehört.*4
Diesen Gedanken führt er in den „Phantasma of the Living",
Band I, (Deutsche Uebersetzung S. 19) weiter aus:
„Ich habe gewagt, das Wort supernormal auf Erscheinungen
anzuwenden, die das überragen, was
gewöhnlich ist, d. h. im Sinne eines Hinweises auf
unbekannte psychische Gesetze. Dieses Wort ist von mir
auf Grund einer Analogie zu dem Worte anormal
angewandt worden. Wenn wir von irgend einer anormalen
Erscheinung sprechen, so vermuthen wir nicht etwas, das
die natürlichen Gesetze zerstört, sondern wir reden blos
von dem, was sie in einer ungewöhnten Gestalt an den Tag
legt. Ebenso habe ich, wenn ich von den supernormalen
Erscheinungen rede, nicht das im Auge, was die natürlichen
Gesetze bei Seite setzt, — denn ich denke, dass dergleichen
Erscheinungen nicht vorkommen —, sondern blos das, was
die Wirkung der Gesetze in einer in psychischer Hinsicht
höheren Gestalt offenbart, als sie in der Thätigkeit des
gewöhnlichen Lebens bemerkt werden."
Myers will, wie sich aus dem Zusammenhange ergiebt,
in dem er cliese Ausführungen macht, mit dem Worte
„supernormal" eine Gruppe psychischer Erscheinungen bezeichnen
, die man vulgär als okkult, übersinnlich, spiritistisch,
animistisch, mediumistisch, transscendent, transscendental,
mystisch, magisch, metaphysisch oder xenologisch zu
benennen pflegt. Die Reichhaltigkeit dieser Terminologie
— wobei wissenschaftlich indiskutable Begriffe weggelassen
sind — kennzeichnet am besten die herrschende Begriffsverwirrung
. Die folgende Arbeit verfolgt den Zweck, den
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