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568 Psychische Studien. XXVI. Jahrg. lo. Heft. (Oktober 1899.)
Begriff des Supernormalen in die deutsche Fachwissenschaft
— die französische hat ihn bereits acceptirt — einzuführen.
Dabei werde ich gleichzeitig versuchen, den Inhalt dieses
Begriffes schärfer zu fassen, wie dies Myers in seinen
aphoristischen Andeutungen gethan hat. Gleichzeitig werde
ich in eine eingehende Kritik der bisher gebrauchten
Terminologie eintreten müssen. Es dürfte daher angebracht
sein, zunächst einige Worte über Terminologie im allgemeinen
vorauszuschicken.
Jede Wissenschaft bildet sich ihre eigene Sprache, ihre
eigenen Begriffe. Das ist ein nothwendiges Ergebniss ihres
Entwickelungsganges. Sie muss sich feste Begriffe schaffen,
mit denen sie als mit gegebenen Grössen arbeiten kann und
muss diese in bestimmten Worten krystallisiren. Von entscheidender
Bedeutung für ihre WeiterentWickelung ist es,
dass sie hierbei sinngemäss vorgeht. Die Terminologie soll
entwirren, nicht verwirren. Die Tragweite dieses Vorganges
erhellt am besten, wenn man das Unheil betrachtet, das
eine schlechte Terminologie anrichtet. Die Psychologen
wissen davon ein Wort zu reden! Wer denkt nicht an den
„Thierischen Magnetismus" und die Verwirrung, die diese
Bezeichnung in klaren und unklaren Köpfen hervorgerufen
hat. — Nun tritt die Begriffsbildung allerdings meistens
mehr unbewusst, als bewusst ein, Worte stellen sich ein,
wo Begriffe fehlen und leider sind es nicht immer die
rechnen Worte. Dann bedarf es schweren Kampfes, die
Eindringlinge zu beseitigen, die auf ihr Recht pochen, weil
sie die Herrschaft haben.
Die Anforderungen, die man an eine gute Terminologie
stellt, sind mannigfache. Als grundlegend muss die Forderung
bezeichnet werden, dass der Begriff vom Wesen
seines Inhalts hergeleitet werde und zwar derart, dass in
der Hülle des Wortes plastisch sein Inhalt hervortritt.
Das scheint ganz selbstverständlich. Gerade hierin wird
aber viel gesündigt. Man giebt Schlagworte statt Begriffe,
knüpft an prägnante Zufälligkeiten, statt an das schwer zu
erschliessende Wesen an. In dieser Forderung ist aber auch
inbegriffen, dass die Bezeichnung für einen bestimmten
Inhalt nicht von einer Hypothese oder Erklärungsform
hergenommen wird. So z. B. wenn ich gewisse psychische
Realitäten als „Wunder" bezeichnen wollte, weil ich meine,
sie kämen auf eine Weise zu Stande, die ausserhalb des
Gesetzes der Kausalität liegt. Ich werde dann nicht das
Wesen zum Ausgangspunkt machen, sondern meine subjektive
Anschauung darüber.
Ebenso selbstverständlich ist es, dass Wort und Begriff
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