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v. Seeland: Zur Frage von dem Wesen des Raumes, 575
Art der Erscheinung eines Realen, welches in Wirklichkeit
alle drei Dimensionen besitzt. Als Denkkombination ist eine
solche künstliche Ablösung einer gewissen Seite des Seins
von den übrigen, ebenso nothwendigen — ganz wohl
berechtigt. Sobald man sich jedoch einbilden wollte, Linie
und Fläche seien selbstständig existirende Dinge, so verfiele
man in einen unverzeihlichen logischen Fehler. Und doch
thun dies im Grunde diejenigen, welche ein Spiegelbild als
Beispiel einer zweidimensionalen Welt aufstellen. Denn in
Wirklichkeit ist dieses Bild kein zweidimensionales Etwas.
Bevor wir es jedoch in seiner wirklichen Natur betrachten,
möge es einstweilen für zweidimensional gelten, wobei sich
aber folgende Unmöglichkeiten herausstellen: Ein Spiegelbild
erscheint in die Länge und in die Breite ausgedehnt,
folglich muss es in diesem Sinne theilbar sein; jetzt aber
wünschen wir zu sehen, wie sich die verschiedenen Theile
dieses theilbaren Dinges zu einander verhalten —, und erfahren
, dass sie sich gar nicht verhalten. Denn besitzt das
Bild wirklich absolut keinen Querschnitt (Dickendimension),
so sind die Theile für einander gar nicht vorhanden,
obwohl sie aneinanderstossen sollen, und jegliche „Beziehungen
" derselben zu einander könnten nur mit Hilfe der drei-
(besser w-) dimensionalen "Welt stattfinden. Ein nur in die
Länge und in die Breite ausgedehntes Ding ist ebenso
unmöglich, wie ein materielles Ding ohne Ausdehnung und
Theilbarkeit überhaupt.*) Selbst die von uns unräumlich
wahrgenommenen Erscheinungen und Koexistenzen entströmen
nichtsdestoweniger ausgedehnten Dingen.
Besagtes Missverständniss löst sich aber einfach dahin,
dass sowohl Lichtbilder als Schatten in Wirklichkeit Dinge
sind, die mehr als zwei Dimensionen haben. Solange
wir nur das auf dem Spiegelglase Sichtbare für deren Grenzen
halten, können wir an ihnen natürlich keine Dickendimension
auffinden, ebenso wie auch die minutiöseste Messung nicht
finden würde, dass der Lichtschein auf einer Wand über
deren Oberfläche hervorrage. Doch müsste man ja bedenken,
dass eine derartige Beschränkung der Lichtfiguren auf
Willkür und Selbstbetrug beruht. In Wahrheit haben wir
ein Strahlenbündel vor uns, welches auf das Glas fällt, und
ein anderes, welches vom Glase zu unserem Auge eilt; die
Länge der Strahlen ist also eben die dritte Dimension jener
Erscheinung, welche unser Auge auf dem Glase als eine
*) Diejenigen, welche die Atome untheiibar, also ohne Ausdehnung
wollen, begehen den krassen Denkfehler, dass sie aus einem Aggregat
von Niohtsen ein Etwas entstehen lassen«
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