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586 Psychische Studien. XXVI. Jahrg. 10. Heft. (Oktober 1899.)
entwickeln sogar eine sehr starke Hitze; man breitet sie
über eine 12—15 m lange und 2—3 m breite Fläche aus.
Dieses sehr heisse Kohlenbecken verläuft in eine Art kleinen
Morast aus Koth, bezw. Thonerde. Am anderen Ende vorn
ist ein kleiner Sumpf von ähnlichem Aussehen, aber enger.
Dies ist der Hauptpunkt; denn dieser kothige Sumpf ist
mit dem Saft der Blätter des Kijä neJli = phyllantus niruri,
einer Art kriechendem Pflänzchen (es fdebt eine ganze
Phyllantus - Familie) — gesättigt. Diese Pflanze wächst in
Indien an den Wegen, in den Wäldern u. s. w. (Meine
Indierin behauptet, sie auch im Walde von Fontainebleau
gesehen zu haben, aber vielleicht täuscht sie sich, denn mir
selbst ist nichts hiervon bekannt). Diese Pflanze hat nun
aber die Eigenthümlichkeit, den Theil des Fleisches, der
davon berührt wird, unempfindlich zu machen; sie wirkt
als anaestethicum.
Die Indier, die sich jener Marter aus Frömmigkeit oder
in Folge von Gelübden unterziehen, beginnen damit, dass
sie eine bestimmte Zahl von Tagen (10 bis 30), die je nach
ihren Kräften wechselt, in den Pagoden einem strengen
Fasten unterworfen bleiben. Weiterhin werden sie mit
Haschisch berauscht; überdies lässt man sie sehr stark in
sehr scharfen Tönen schreien, was eine andere Art von
Berauschung bewirkt. Endlich werden sie mit Safran gerieben
und mit Rosenkränzen aus Jasminblumen buchstäblich umkleidet
, deren durchdringender Geruch sie gleichfalls trunken
macht. Zuletzt werden ihre l^üsse mit den Blättern von
Kijä nelli eingerieben. Sie gehen durch das stark glühende
Feuer, die Augen auf die Statue der Kali, der Göttin der
Liebe zum Tod und des Verhängnisses, gerichtet, gehoben
sicherlich auch durch eine starke religiöse Exaltation (welche
eben die Autosuggestion des Könnens bewirkt. Red.)
Ich kann Sie versichern, dass die Haut ihrer Füsse
mehr oder weniger stark verbrannt wird, aber augenscheinlich
wirklich verbrannt, was schon durch den Geruch
bewiesen wird, der sich verbreitet, wo sie vorüber kommen.
Ueberdies habe ich es auch gesehen; ich habe die Füsse
mehrerer dieser Eingeborenen berührt und sogar verbunden.
Allerdings habe ich nie eine schwerere Brandwunde bemerkt,
was sich wohl auch daraus erklärt, dass man in das Feuer
selbst, ehe sie hinübergehen, einige Blätter von Kijä nelli
oder Tropfen einer aus dieser Pflanze gemachten Essenz wirft.
Nebenbei darf man aber einen anderen Punkt gewiss
nicht vergessen. Die Hindus gehen fast immer barfuss, die
Haut ihrer Füsse härtet sich also ganz bedeutend gegen
die Hitze ab, was schon daraus hervorgeht, dass sie von der
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