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590 Psychische Studien. XXVI. Jahrg. 10. Heft. (Oktober 1899.)
leben für den ernst denkenden Gelehrten das grösste
„Welträthsel." Auf unsere Sinne lassen sich also die
Definitionen der Physiologie nicht unmittelbar anwenden,
was der Physiologe damit anerkennt, dass er neben dem
physikalischen Vorgang getrennt das psychische Korrelat
anführt.
So einfach scheint demnach die Frage über die Art
der „Seele" nicht zu liegen, dass ohne Weiteres so weittragende
Konsequenzen gezogen werden dürfen, wie dies
der Verfasser des letzten Artikels gethan. Streng bewiesen
ist zunächst über diesen Punkt noch gar nichts und dies
wird auch ganz allgemein anerkannt! St
Kurze Notizen*
a) Die Wirkungen der Kälte auf den Geist.
Sehr starke Kälte übt bekanntlich eine betäubende Wirkung
auf den Geist aus. Fast jeder, der längere oder kürzere
Zeit sehr niedrigen Temperaturen ausgesetzt war, hat eine
Abschwächung der Willenskraft und oft zeitweilig des Gedächtnisses
wahrgenommen. Vielleicht im grössten Massstabe
wurden diese Folgen beim Rückzüge der Franzosen von
Moskau beobachtet. Ein deutscher Arzt, der eine Abtheilung
seiner Landsleute begleitete, hat einen interessanten Bericht
über die Prüfungen und Leiden, denen jene bei genanntem
Rückzüge ausgesetzt waren, hinterlassen. Dieser Bericht
zeigt, dass die erste von der Kälte abhängige Erscheinung
der tbeilweise Verlust des Gedächtnisses war, der ebenso
bei ganz gesunden Mannschaften wie bei solchen, die durch
die ausgestandenen Strapazen und Entbehrungen schon
geschwächt waren, beobachtet wurde. Beim ersten Auftreten
einigermassen niedriger Temperatur — von unter 20° 0. —
hatten schon viele Soldaten den Namen ihnen nahe liegender
Dinge vergessen, sogar die Bezeichnung für Nahrungsmittel,
obwohl sie durch den Mangel derselben zu Grunde gingen.
Manche vergassen auch den eigenen Namen, eben sowie den
ihrer Kameraden. Andere wieder zeigten ausgesprochene
Erscheinungen geistiger Störung, und nicht wenige verfielen
unheilbarem Wahnsinn, der meist dem Altersblödsinn ähnelte.
b) Die keineswegs durch blosse Gewohnheit oder durch
Angst vor Entdeckung (wie die Materialisten meinen) erklärliche
Macht des Gewissens als Stimme des trans-
scendentalen Subjekts zeigt klar ein aus Tunis jüngst berichtigter
Justizirrthum. In Tizi-Onzon wurden vor sechs
Jahren zwei Kabylen zum Tode verurtheilt, weil man sie
im Besitz der Flinte des im Walde ermordet aufgefundenen
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