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674 Psychische Studien. XXVI. Jahrg. 12. Heft. (Dezember 1809.)
Ausnahme zu erweichen, den in ihnen allegorisch verhüllten
metaphysischen Wahrheitsgehalt herauszulösen und
der Zustimmung des modernen Menschen gewiss zu machen.
Denn es wird sich nie darum handeln können, die historisch
gewordenen, ihrer Zeit in die herrschende Weltanschauung
sich wohl einfügenden Dogmen einfach zu übersehen und
bei Seite zu schieben, wogegen neun Zehntel der Christenheit
immer Protest einlegen werden, sondern dieselben in
dem zu verstehen, was sie ihrer Zeit sagten und auch
unserer Zeit noch zu sagen haben. Indem ich mir vorbehalte,
über Christenthum und Transscendentalpsychologie im
besonderen zu referiren, drängt es mich heute nur, Verwahrung
gegen die Verzerrungen einzulegen, die der Stifter
des Christenthums mit seinen Grundanschauungen erfahren
musste, und die leider auch Max Seiling in seinen Beitrag
zur du Prefsehen Jubiläumsschrift mit hinüber genommen
hat. An diesen Korrektur zu üben, boten sich mir als
berufenste Stelle die „Psychischen Studien", in deren Leserkreise
ich zuverlässig die relativ grösste Bekanntschaft mit
jener Festschrift zu suchen habe. Mit dem groben Unfug,
den namentlich „spiritistische" Kreise mit der Bibel treiben,
wird sich eingehend ein Artikel beschäftigen, welcher
das Verhältniss des okkulten Phänomenalismus und des
Spiritismus zu Kirche, Christenthum und Bibel zum Gegenstand
einer objektiven Festlegung haben wird. Für heute
aber bitte ich um Entschuldigung, wenn ich zwar auch
psychische Studien treibe, von Okkultismus selbst aber nicht
weiter die Rede ist.
Trotzdem die Reformation die Bibel dem Laienelement
erschlossen und durch die Einführung derselben als Schul-
und Familienbuch zu ihrem Studium aufgefordert hat, —
trotzdem die freie protestantische Schriftforschung mit ihrer
streng wissenschaftlichen historisch - philologischen Methode
ungeahntes Licht in das sagenhaft umwobene Urcbristen-
thum, wie in die Entstehung und Werthung der neutestament-
lichen Urkunden gebracht hat, herrscht doch in den Kreisen
der Gebildeten eine erschreckende Unkenntniss, die sich bis
auf Herrenworte von centraler und fundamentaler Bedeutung
erstreckt. Dass die Frage: Was lehrte Jesus'! wegen der
dogmatischen und konfessionellen Färbung und Verschiebung
seiner Heilspredigt noch heute zur Beantwortung herausfordert
, ist zwar verständlich, aber ohne gründliches Bibelstudium
und gewissenhafte Benützung der reichen wissenschaftlichen
Hülfstnittel ist sie nicht zu beantworten. Die Antwort
, welche Wolfgang Kirchbach auf diese Frage findet, ist,
abgesehen von geistreichen Ausführungen und feinsinnigen
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