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Gubalket Moderne Christenthumsforscher. 675
Apercus, als eine vor allem in ihrem Mittelpunkte, dem
Unsterblichkeitsglauben Jesu} total verfehlte abzuweisen.
Denn wer trotz klarster Aussprüche, z. B. Luc. 20, 27—39,
die Unsterblichkeit aus der Lehre Jesu und der Paulinischen
Dogmatik wegeskamotirt, kann gewiss auf ein hohes Maass
dialektischer Gymnastik Anspruch erheben, nicht aber auf
irgend welche Verständnissinnigkeit für den Jesus der Bibel.
Denn selbst die vollendetste Technik macht auf keinem
Gebiete zum Künstler, wenn nicht innerer Beruf und Neigung
zum Gegenstande hinzukommt. Dass ferner Männer von
der Bedeutung eines Johannes Scherr, Theodor Schultze und
Max Seiling sich nicht einmal bemühen, erst den griechischen
Grundtext zu befragen, nicht den selbstverständlichen Kanon
beobachten, die Schrift durch die Schrift zu erklären, ist
einfach unverständlich und mehr als bedauerlich. Liegt es
denn wirklich nicht näher, berufene Bibelexegeten, wie
Holtzmann und Holsten zu Rathe zu ziehen, als sich auf den
sehr unberufenen Halbwisser Tolstoi, diesen „Neuentdecker
des Christenthums" zu stützen ? Auf ihn und seine christliche
Centrallehre: „Widerstrebet dem Uebel nicht" werde
ich nachher zu sprechen kommen. Hauptsächlich werde ich
aus Max Seilin^s sonst so gehaltvollem Beitrage zur
du /Väschen Jubiläumsschrift Veranlassung nehmen, sein
auch von Anderen getheiltes, bez. auf Andere sich gründendes
Urtheil über die von Jesus gelehrte .Feindesliebe und Ehelosigkeit
durch die Schrift selbst zu widerlegen, somit als
gänzlich unbegründet nachzuweisen. Auch nimmt mich
Wunder, dass Max Seiling bei seiner Kenntniss und hohen
Würdigung der Schopenhauer'sehen Philosophie sich nicht
dahin hat aufklären lassen, dass nicht allein für den
Buddhisten, sondern auch für den Christen der Pessimismus
eine über jede Zweifel erhabene Sache ist. Das biblische
Christenthum, also doch das Neue Testament, lehrt einen
phänomenalen, diesseitigen Pessimismus, und Schopenhauer
weiss sich nicht geyiug, und mit Recht sage ich, zu
echauffiren, dass das jcdvra xaXä Zlavf dieser „foetor
judaicus", diese Plattheit des jüdischen Optimismus, eben
keine christliche, metaphysische, philosophische Ader verräth
und wie ein erratischer Block in der pessimistischen Schrift
dasteht. Aehnliche Aussprüche ausser den bekannten „Und
siehe da, es war sehr gut" sind mir wenigstens nicht bekannt
, wenn nicht etwa 1. Tim. 4, 4, seiner Beziehung zu
Speise und Ehe entkleidet, eine falsche, philosophische
Verallgemeinerung erfährt. Wohl aber kenne ich aus dem
Alten Testamente das „Alles ist eitel" des pessimistischen
Predigers und zahllose Aussprüche des Neuen Testamentes,
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