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Wernekke: Manuel Otero Acevedo und seine Schriften. 15
Auch die zweite Ansicht hat dal Pozzo ausgesprochen (in
dem angeführten Werke, aber auch schon früher in den
Nuove scoperte sui tavolini e corpi semoventi, Pisa 1853),
indem er behauptet, das Medium gebe nie eine auch nur
angenähert richtige Antwort auf eine gestellte Frage, wenn
nicht die rechte Antwort ihm selbst oder einer der anwesenden
Personen bekannt ist — im Unterschied von den
Somnambulen, die über vergangene Ereignisse und räumlich
entfernte Dinge auch dann Auskunft zu geben wissen, wenn
die Anwesenden nichts darüber wissen« In beiden Fällen ist
eine unbewusste Cerebration vorauszusetzen: bei dem Somnambulen
ist das Bewusstsein völlig zurück gedrängt; das
Medium ist in einem Zustande des Halbsomnambulismus.
Die in solchem Zustande hervorgebrachte Schrift (und um
deren Erklärung handelt es sich zunächst) entstammt also
dem Unbewussten — entweder des Mediums selbst oder der
Theilnehmer. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle von
Schreibmediumschaft mag es sich also nicht um spiritistische
Vorgänge handeln, sondern um bewusste oder unbewusste
Cerebration, je nachdem das normale Bewusstsein hinsichtlich
der hervorgebrachten Manifestation wach oder eingeschläfert
ist. Damit ist gesagt, dass die in der medialen Schrift
ausgedrückten Gedanken entweder das Product vorausgegangener
Studien und Erfahrungen sind, oder unbewusst
erworben und im Gedächtniss aufbewahrt worden sind. Ihr
Inhalt ist nicht so original, dass man dabei an jenseitigen
Einfluss denken müsste. Das einzige Auffällige bei derartigen
Vorgängen ist eben nur, dass das Medium von dem, was
* es schreibt, was seine Hand tbut oder auch sein Mund
spricht, kein Bewusstsein hat. Darin besteht der eigentliche
psychologische Vorgang: in der functionellen Verdoppelung
oder Spaltung der Gehirnthätigkeit, welche durch natürliche
Ursachen (nach gewöhnlichem Sprachgebrauche), nicht durch
Eingebung von Geistern, bewirkt ist, selbst wenn die
betreffenden Kundgebungen über das Wissensgebiet des
Mediums hinausgehen, weil sich nicht sagen lässt, ob nicht
in dem Gehirn einer Person eine Fähigkeit latent sei, die
durch irgend eine Ursache ausgelöst wird. Es sind im
Traume Probleme gelöst worden, die im wachen Zustande
unlösbar schienen, im Alkohol- und Morphiumrausche ungewöhnlich
klare und lebendige Gedanken und Gedankenverknüpfungen
niedergeschrieben worden. Deshalb braucht
die Thätigkeit des Mediums mit derlei Vorgängen noch
nicht identisch zu sein; nur ist die Wirkung seiner Thätigkeit
jenen Wirkungen ähnlich, weshalb man auch an eine ähnliche
Ursache denken darf. Zur Erklärung genügt die animistische
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