http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1900/0022
16 Psychische Studien. XXVII. Jahrg. 1. He& (Januar 1900.)
Theorie, wie sie genügt, um die hypnotischen Erscheinungen
zu erklären. Was bei dem einen Individuum durch Fremdsuggestion
erreicht wird, kann bei dem anderen durch
bewusste oder unbewusste Selbstsuggestion erreicht werden.
Hierzu bemerkt Acevedo, dass man zwar nicht für alle, doch
für eine grosse Anzahl Fälle, wo ein Individuum angeblich
nach dem Dictat eines Geistes schreibt, selbst wenn die
Handschrift weder seine eigene noch die eines bekannten
Verstorbenen ist, mit dieser Theorie der Selbstsuggestion
oder unbewussten Oerebration recht wohl auskommen kann.
Sie wird jedoch unzureichend, sobald die bei solchen Versuchen
erhaltenen Mittheilungen über das gewöhnliche und
normale Mass hinausgehen. Zur Erläuterung genüge ein
Hinweis auf das i 856 erschienene Buch „La C16 de la Vie",
geschrieben von einem Bauernknaben in Var, Louis Michel,
der kaum lesen und sehreiben konnte. Wie kann da die
Rede 3ein von automatischer Gehirnthätigkeit durch Reiz
einer gewissen Nervenzone, von Enthüllungen des Unbewussten,
von Auslösung einer latenten Fähigkeit? Um ein philosophisches
System aufzustellen, tiefsinnige Probleme zu
erörtern, von Mensch und Welt nach äusseren und inneren
Gesichtspunkten zu sprechen, dazu genügt nicht die blosse
Anregung der Einbildungskraft; es bedarf der Kenntnisse,
der an Erfahrung und Beobachtung anknüpfenden Vernunft-
thätigkeit.
Ebenso unzureichend sind derartige Erklärungsgründe
für den Fall der Erscheinungen — Phantome oder Gespenster
— welche sich nicht als leere, körperlose und bewusstlose
Schatten herausstellen, sondern als reale Wesen, mit Leben
begabt, wenn auch dieses nur geliehen, nur vorübergehend ist.
Lombroso meint auch hier mit der Annahme einer Ueber-
tragung von Gehirnthätigkeit auszukommen; auf die erhaltenen
Photographien will er keinen Werth legen, so lange er nicht
selbst eine erhalten hat. Hiergegen ist schon in der Schrift
„Los Fantasmas" gesagt worden, dass die Annahme einer
telepathischen oder wahrsagenden Hallucination, wie sie
nicht von lombroso zuerst, sondern schon vor ihm von
Gurney u. s. w. gemacht worden ist, gegenüber einer ganzen
Reihe wohlbeglaubigter Erscheinungen unhaltbar wird. Es
bleibt schliesslich nichts übrig, als zuzugeben, dass die
Gesammtheit der Vorgänge sehr complicirt und nicht leicht
von einer einzelnen Theorie zu umfassen ist, von der
animistischen ebenso wenig wie von der spiritistischen. Den
Suggestionserscheinungen, dem Gedankenlesen, dem Somnambulismus
, dem Traumleben, der Steigerung der Phantasie
durch Berauschungsmittel, der Thatsache gegenüber, dass
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1900/0022