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38 Psyobiscbe Studien. XXVII. Jahrg. 1. Heft. (Januar 1900.)
Sekundärempfindung (Synästhesie). Bei gewissen
Personen ist jede Empfindung einer Gattung begleitet von
einer Empfindung einer anderen Gattung; wie z. B. ein
speeieller Ton begleitet sein kann von einer besonderen
Farben- oder Licht - Empfindung (Chromatismus oder
Photismus). Dieses Phänomen ist dem der Zahlformen
analog — eine Art figürlicher Mental-Bilder, welche die
Vorstellung der ansteigenden Zahlenreihe begleiten, (Der
Engländer Francis Galion hat hierüber Untersuchungen veröffentlicht
in seinen „Inquiries into human faculty.")
Sekundäre Persönlichkeit Es kommt zuweilen
vor, dass ein Mensch in Folge eines Stosses, einer Krankheit
oder aus ganz unbekannter Ursache eine Alterirung des
Gedächtnisses und Charakters erleidet, die sich bis zu einer
Veränderung der ganzen Persönlichkeit steigert und im
Allgemeinen während des Schlafes vor sich zu gehen scheint.
Die neue Persönlichkeit wird in diesem Falle die sekundäre
genannt. Sie verschwindet gewöhnlich wieder nach einer
gewissen Zeit oder aiternirt mit der ursprünglichen oder
primären Persönlichkeit. Letzteren Fall nennt Max Pessoir
das „Doppel-Ich.a Das n Borderland" hat hierfür Beispiele
gebracht.*)
Promnesie bedeutet die paradoxe Empfindung, bei
der wir uns einer Scene, die wir doch heute anscheinend
zum ersten Mal erleben, trotzdem schon zu erinnern glauben.
Der Ausdruck Faramnesie, mit dem diese Empfindung
manchmal bezeichnet wird, sollte nach Myers für alle Formen
falscher Erinnerung gelten, kann deshalb nicht speciell nur
auf diese anormale Empfindung Anwendung finden.
Phantasma und Phantom sind Ausdrücke, die wohl
verschiedene Varianten desselben Stamm-Wortes darstellen.
Während Phantom nur für Gesichts-Hallucinationen gebraucht
wird, ist es üblich, den Ausdruck Phantasma auf ein weiteres
Gebiet anzuwenden, und jede Art von hallucinatorischen
Sinnes-Eindrücken darunter zu verstehen, gleichgültig welcher
Sinn dabei afficirt wird.
Hallucination. Jede Art von vermutheter Sinnes-
Wahrnehmung, für die innerhalb des Bereiches der Sinne
des Gesichts, Gehörs, Gefühls u. s. w. kein objektives Gegenstück
vorhanden ist, wird als eine Hallucination bezeichnet.
Eine Hallucination kann delusiver oder falsidiker Natur sein,
d. h. auf Täuschung oder auf Irrthum beruhen, wenn Nichts
da ist, das ihr entspricht; oder sie kann eine veridike, d. h.
*) Vgl. auch „Psych. Stud." 1899, No?ember-Heft, Kurze Notiz b,
S. 647, Ober die Inaugural-Dissertation von Dr. W.$ßohn. — Red.
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