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44 Psychische Stadien. XXVII. Jahrg. 1. Heft. (Januar 1899.)
Okkultismus betritt. Wie kein anderes mahnt gerade das
okkulte Gebiet zu nüchterner Besonnenheit bei der Peststellung
von Thatsachen, bei Aufstellung von Erklärungen
und Definitionen, bei der Kategorisirung der Phänomene.
Der Sache selbst wie ihrer angestrebten Anerkennung kann
eine naive, aufdringliche Ausspielung jeder fertigen Ueber-
zeugung nur schaden, einer Ueberzeugung, die gründefest
das letzte Wort gesprochen wähnt. Hier nützt keine Versicherung
der Wahrheit noch der Wahrhaftigkeit, keine
Berufung auf Gotteswort und geoffenbarte Theologie, auf
kirchliche oder wissenschaftliche Autoritäten pro oder contra.
Sondern, wer nicht im Stande ist, voraussetzungslos sein
gesammtes Wissens- und Glaubensmaterial einer Revision
zu unterwerfen, wer nicht bereit ist, zu verbrennen, was er
angebetet, der opfere den alten Göttern weiter. Der
Okkultismus lässt sich nicht in irgend ein schon belegtes
Fach der Kirche und Wissenschaft unterbringen, er verlangt
selbstständige Behandlung, ein voraussetzungsloses, unbefangenes
Denken. Andererseits protestirt der Okkultismus
gegen den Missbrauch, als willkommenes Mittel zu einem
vorher bestimmten Zweck zu dienen. So betrachtet der Eine
es „als eine der hauptsächlichsten Aufgaben des Spiritismus,
Staat und Oberhaupt zu erhalten gegenüber einer durch
die heutige materialistische Denkungsart nur ganz allein
hervorgerufenen Socialdemokratie und einem bestialischen
Anarchismus." Für einen Anderen hat der Spiritismus nur
soweit Wert, als er in recht sinnlicher Weise die persönliche
Fortdauer gewährleistet und den Verkehr mit seiner
Frau vermittelt, das Wiedersehen verbürgt. Einem Dritten
soll er die Wahrheit der Bibel beweisen und die alte
Bibelgläubigkeit wieder herstellen, als ob das Wort nicht
geschrieben wäre: „Der Buchstabe tödtet, der Geist macht
lebendig14 — oder „die Worte, die ich rede, sind Geist und
Leben" — oder „das Keich Gottes stehet nicht in Worten,
sondern in Kraft." Die okkultistische Forschung trägt wie
die echte Wissenschaft und die wahre Frömmigkeit den
Erweis des Geistes und der Kraft wie auch ihren Zweck
in sich, hat nichts mit Politik und Kirche, nichts mit
aktuellen Parteifragen zu schaffen, sondern lediglich die
Aufgabe, das Wesen unserer Seele zu ergründen. Ebenso
aber wie wir Front machen gegen jede Verquickung mit
anderen Lebens- und Wissensgebieten, ebenso weisen wir
die phänomenalistische Verflachung ab, wenn, wie von Seiten
des Neookkultisten Dr. Maack, in dem Okkultismus nur eine
erweiterte Kenntniss der Wirkungsweise der grobkörnigen,
differenzirten Materie geschätzt wird. Ich erinnere an Maack's
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