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46 Psychische Studien. XXVIL Jahrg. 1. Heft (Januar 1900.)
sagt: Wer sich von der Offenbarungsautorität nicht losgesagt
hat, „durchschreitet das Feuer nie", um die Brunhild
zu erwecken. Das pochende Herz des Okkultismus bleibt
die menschliche Seele, sein Hauptmerkmal ist der psychologische
Charakter, der sich nur an den lebenden Menschen
wendet. Der Okkultismus ruft dir zu: tua res agitur, um
deine eigenste Sache handelt es sich, um deinen innersten
Wesenskern, um deinen Bestand und Verbleib in der Flucht
der Erscheinungen. Jedes anders gearte he Interesse muss
a limine abgewiesen werden, jedes Interesse, das nicht rein
psychologisch bleibt; sonst erfahren wir sofort die Bestätigung
des Wortes, dass das Interesse den Intellekt verderbt, dass
jede vorgefasste Meinung die reine Einsicht trübt. Vom
Okkultismus gilt darum das Wort: den Armen wird die
Botschaft verkündet, d. h. nur diejenigen bringen offenen
Sinn, rechtes Verständniss und empfängliches Herz entgegen,
die sich noch nicht reich wähnen an metaphysischer
Gewissheit, sich nicht begnügen lassen an dem, das ihnen
bis jetzt geboten wurde. Dem Fertigen ist auch hier Nichts
recht zu machen! Auch hier sind es die Hungernden
und Dürstenden, die von dem als Brot gereichten Stein
unserer kirchlichen und wissenschaftlichen Psychologie Unbefriedigten
, die von entgegenstehenden Theorien nicht prae-
okkupirt sind, deren eines festen verengernden Gesichtspunktes
entbehrender Blick sich weiten lässt für die Tiefe und
Mächtigkeit des menschlichen Wesenskernes, unserer Seele. —
Was Methode und Betrieb des Okkultismus anlangt,
so lässt sich bei der verschiedenartigen Veranlagung der
menschlichen Natur keine allgemeine Norm aufstellen. Hier
heisst es auch: die Griechen fragen nach Weisheit, die
Juden fordern Zeichen — das will sagen: die grosse
sinnenbefangene Menge will gleich dem ungläubigen Thomas
mit den Sinnen fassen, womöglich mit den Händen greifen,
für sie existirt nur der Induktionsweg der persönlichen
Erfahrung. Andere freuen sich des Wortes: ,,selig sind, die
nicht sehen und doch glauben", d. h. die auf dem Wege
allgemeiner, philosophischer Erkenntnisse, von Grundanschauungen
ausgehend, zu der Anerkennung a priori der
okkulten Phänomene gelangen. Ihre Ueberzeugung ist
demnach unabhängig von jedem eigenen oder fremden
Erlebniss, steht und fällt mit keiner Thatsache, sondern ist
sich ihrer selbst gewiss und spräche im Bedürfnissfalle, der
aber nicht mehr wie ehedem für Kant vorliegt: „es wird
noch einmal bewiesen werdend Diese mehr für deduktive
Beweisführung angelegten Naturen erkennen mit Hellenbach,
dass alle Beobachtung, und somit auch das Experiment, nur
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