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48 Psyohtocbe ßtudien. XXVII. Jahrg. 1. Heft. (Januar 1900.)
dieser Art ernsthaft und unentschieden zu erhalten." Er
war sich bewusst, dass unser Unverständniss allein gegen
Thatsachen noch nicht das Geringste beweist; er vermeinte
auch nicht, wie die materialistische Verflachung unserer
Tage, die Unmöglichkeit solcher Geistergeschichten eingesehen
zu haben, da doch von der Natur eines Geistes so wenig
bekannt sei. Arago sagt: ,,Wer mit Ausnahme der rein
mathematischen Wissenschaften das Wort unmöglich ausspricht
, ermangelt aller Vorsicht und Klarheit" — und
Laplace sagt: „Wir sind noch soweit entfernt von der
Kenntniss aller Naturkräfte, dass es sehr wenig philosophisch
sein würde, die Existenz von Erscheinungen einzig und allein
deswillen zu verneinen, weil sie nach dem jetzigen Zustand
unseres Wissens unerklärlich aussehen." „Unser okkultes
Thatsachenmateriai geht aber schon über unsere Erkenntniss
hinaus und fällt ihr in ihrem Verlaufe zur Last. Wir
brauchen Gedanken, erhalten aber immer noch mehr Thatsachen
, während uns doch nicht fördert, was die Natur thut,
sondern was der Mensch sich dabei denkt.'* Deshalb werde
ich davon abstehen, meine Ausführungen zur spiritistischen
Hypothese, behufs Erklärung okkulter Phänomene, mit mehr
oder weniger anzweifelbaren und verschieden zu werthenden
Thatsachen zu belegen, bez. durch solche zu stützen zu
suchen, vielmehr werde ich mich begnügen, lediglich einige
Gedanken, fremde und eigene, zu diesem Thema mitzutheilen,
in der Hoffnung, auch Andere zu ähnlichen Gedankengängen
anzuregen. Denn ich bekenne mich zu der imin^scheu
Ketzerei, dass zufällige GeschichtsWahrheiten der Beweis
von nothwendigen Vernunftwahrheiten nie werden können.
Und da eine historische Wahrheit nicht demonstrirt werden
kann, so kann auch Nichts durch historische Wahrheiten
demonstrirt werden — vorliegenden Falles also die Selbstherrlichkeit
und Unzerstörbarkeit der menschlichen Seele
nicht bewiesen werden durch okkulte Phänomene. Nach
Kant muss unsere Unsterblichkeit als die natürliche Notwendigkeit
zu leben eingesehen und bewiesen werden. Nur
der aus der Natur und dem Begriffe der Sache selbst
hergenommene Beweis ist der einzig mögliche, und dieser ist
tran8scendental. Alle anderen Beweise für die Unsterblichkeit
der Seele, die man sonst noch hat, sind nicht Beweise für
ihre Unsterblichkeit, sondern sie beweisen nur die Hoffnung
des zukünftigen Lebens. Der Wunsch ist des Gedankens Vater.
Was nun meinen Vorwurf anlangt, so biete ich Gedanken
und Reflexionen über die Berechtigung, über den
Umfang bez. die Beschränkung, und über die Beweiskraft der
spiritistischen Hypothese.
'«5f. f. Grenzgeb.
<fer Psychologe
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