http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1900/0061
Didier: Phantasie and Wirklichkeit
55
die Wirklichkeit des Alltagslebens, wenn ihm die holde
Phantasie entflieht. Ja, in der That, es ist schwer eine
scharfe Grenze zwischen Phantasie und Wirklichkeit zu
ziehen. Was uns die karge Wirklichkeit entzieht, das giebt
uns die Phantasie mit vollen Händen. Den Trost, die
Milde, die Gnade, die Dir, o Bruder, dein herzloser, verblendeter
Mitmensch versagt, du findest sie reichlich in den
Geheimnissen deiner Religion. Sie ist zwar nur eine
schöne Illusion, aber auch die Täuschung kann Segen
spenden, wenn die Wirklichkeit nur Flüche hat. Das
freilich wäre ein Unterschied zwischen Wirklichkeit
und Phantasie.
Dr. Maurice Didier.
III. Abtheihmg,
Tagesneuigkeiten, Notizen u. dergi.
Ein psychologisches RäthseL
Berichtet vom Ued. Dr. F. Maier.
Die „Wissenschaftliche Vereinigung Sphinx" in Berlin
hat vom 27. Okt. — 8. Nov. verg. Jahres, im Turniersaale des
Cafe Kerkau daselbst, eine Ausstellung über 300 fertiger
Zeichnungen, verbunden mit regelmässigen Zeichnen- und
Mal-Versuchen des ganz plötzlich aufgetauchten automatischen
Zeichnen-Mediums, Frau Therese Vallent aus Budapest, veranstaltet
, deren phänomenale Leistungen auf diesem okkulten
Gebiet das Erstaunen und die ungetheilte Bewunderung des
gelehrten wie des kunstverständigen Publikums der Reichshauptstadt
erregten. Nach dem vor jeder Seanee von
Professor Carl Obertimpfler in Berlin gehaltenen einleitenden
Vortrag ist die Entstehungsgeschichte der mystischen Begabung
der Frau Vallent geb. Fruhmann kurz folgende:
Ihr Gatte, Herr Matthieu Vallent, Mitglied der königlichen
Opernkapelle in Budapest, bekam im September 1898 zufällig
ein Werk du Prelis („Spiritismus") in die Hand.
Im Scherz bat er seine Frau, — sich den von du Prel
beschriebenen automatischen Schreibversuchen auch einmal
hinzugeben; aber anstatt zu schreiben, begann der Bleistift
in der Hand der Dame zu zeichnen, zuerst Linien,
Kreise, Schnörkel, unregelmässige Arabesken, w$gh&jrje-
doch bald Formen von Thieren, Blumen und sonstigen
Gewächsen annahmen. Immer vollkommenöUv/Wtniiftn^ *diese
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1900/0061