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58 Psychische Studien. XXVII, Jahrg. 1. Heft. (Jaouar 1900.)
angebliche Flora und Fauna des Trabanten der Erde denken
dürfe, sondern dass damit nur der Charakter dieser Gebilde
gekennzeichnet werden solle, der mit der Thier- und
Pflanzenwelt unserer Erde nichts Gemeinsames habe. Diese
märchenhaften Blumen und Thiere sind auf rauhes Zeichenpapier
grössten Formats mit farbigen Stiften gezeichnet.
Die Technik ist eine ziemlich derbe und erinnert an die
impressatorische Mache; man sieht keine bestimmten Linien
und Formen, sondern das Ganze ist gestrichelt, punktirt,
geringelt, man könnte es auch „geschummert6 nennen. Die
Mondblumen sehen in ihrer flachen Zeichnung aus, als ob
sie mit den Wurzeln für ein Herbarium gepresst worden
wären; einzelne erinnern an Orchideen, Feuerlilien und
tropische Blüthen, die Stengel sehen in der Strichelzeichnung
staudenartig aus. Die Mondthiere erinnern tbeilweise an
Ffsche mit Flossenarmen und Köpfen, die Chamäleon-Arten
entlehnt zu sein scheinen. — Frau Vattent ist eine stattliche
Dame mit freundlichem Gesichtsausdruck und ruhigem
Temperament; ihr Nervensystem ist in der besten Ordnung
und von beneidenswerther Ausdauer. Auf ihrem Zeichenpapier
findet sich keine Spur von Punktirung oder sonstiger
Markirung, wie sie professionelle „Schnellzeichner" bei ihren
Produktionen zu benützen pflegen. Neben dem Papier hegt
etwa ein Dutzend Kohinoor-Stifte weichster Sorte, welche
Herr Vallent stumpf zugeschnitten hat. Die Dame fasst einen
Stift zwischen die Greiffinger der Eechten, hält ihn senkrecht
über dem Papier und beginnt dann plötzlich zu
arbeiten. Zuerst punktirt sie mit dem Stift stark aufstossend,
als ob sie das Papier durchlöchern wollte; dann fährt die
Spitze des Stifts in geringelten Linien über das Papier und
endlich wirft die Hand mit raschen, energischen Schleuderbewegungen
kräftige Striche hin. Sie arbeitet wie eine
Maschine, ohne zu ermüden, */4, */2, % St., ja stundenlang in
regelmässigem Takt weiter, bis die in einer Ecke des Papiers
erscheinende Unterschrift „Ralph" die Beendigung der
Zeichnung anzeigt, worauf der Bleistift umfällt. — Auch die
Berliner Presse ist voll des Lobes über die ausserordentliche
Leistungsfähigkeit dieses neuen Malmediums. Der „Berliner
Börsen-Courier" vom 28. Oktober 1899 sieht zwar nicht ein,
inwiefern die merkwürdige Begabung der Dame mit dem
Spiritismus zusammenhängen soll, erkennt aber an, dass die
»Sphinx* das Verdienst in Anspruch nehmen dürfe, „uns
mit einer Künstlerin von ungewöhnlicher Gestaltungskraft
und überaus reicher Phantasie bekannt gemacht zu haben/'
Auch die „Vossische Zeitung" vom 27. Oktober 1899 bezweifelt
, dass die Leistung der Dame den skeptisch veranlagten
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