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92 Psychische Studien. XXVII. Jahrg. 2. Heft. (Febrnar 1900.)
Gewaltakten gegen sich zu reizen. Wagte man es doch,
Männer, welche ihre kühne Forscherbefähigung durch zahlreiche
Arbeiten in unwiderleglicher Weise dargethan hatten,
wie den Leipziger Astronomen Zöllner, für wahnsinnig zu
erklären, weil er eine Beschreibung und erkenntnisstheoretisch
einwandfreie, vorläufige Deutung der von ihm beobachteten
spiritistischen Thatsachen versucht hatte. Auch die Ver-
fehmung, welche unser dahingeschiedener Ehrenpräsident
du Prel bald nach dem Hervortreten mit seinen ersten
Schriften okkulter Richtung in München erfuhr, mag das
hier Erwähnte an einem uns persönlich nahe gestandenen
Beispiel bekräftigen. —
Es ist ganz ohne Zweifel, dass man für den geistigen
Kulturstand eines Volkes zu einer gewissen Zeit ohne weiteres
das Maass des Interesses zugrunde legen kann, welches von
den Gebildeten den grossen, rein geistigen Problemen der Er-
kenntniss und Metaphysik entgegengebracht wird. In dieser
Hinsicht nun waren die letzten 50 Jahre in Deutschland
charakteristisch für einen Tiefstand, welcher vordem noch
nie in gleicher Ausdehnung vorhanden gewesen sein dürfte,
wenigstens nicht in Zeiten materiellen Aufschwungs und
technischer Erungenschaften. Erinnern wir uns* nur an die
kolossalen Fortschritte, welche das deutsche Volk im 16.
Jahrhundert in materieller Beziehung gemacht hatte, ein
Jahrhundert, welches jedoch gleichzeitig reich ist an hervorragenden
Denkern und Metaphysikern, und in welchem
das Interesse an metaphysisch religiösen Fragen und Problemen
weit verbreitet war in den Schichten des wohlhabend
gewordenen Städtebürgerthums.
Es ist darum eine üble und höchst klägliche Ausrede,
die geistige Armuth der vergangenen Jahrzehnte damit
entschuldigen zu wollen, dass die technischen Portschritte
alle geistigen Kräfte absorbirt hätten, welche sonst sich
auch in den höchsten Gebieten der reinen Theorie zu entfalten
pflegten. Glücklicherweise können wir allerdings
konstatiren, dass der heute anrückende wissenschaftliche
Nachwuchs ein von Jahr zu Jahr sich Steigerndesinteresse
an Fragen metaphysischer Art mit sich bringt, und somit
der Boden für eine geistige Bethätigung grösseren Stils
nach dieser Seite geebnet wird. Man kann nunmehr auch
bereits feststellen, dass sich die Angriffswut und die Verbissenheit
, mit welcher die Spätlinge der Aufklärungsmeierei
sich auf den Spiritismus gestürzt haben, entschieden bedeutend
gemildert hat. Zwar ist es für junge Gelehrte,
welche eine korrekte Universitätskarriere im Auge haben,
noch immer gefährlich, sich anders als mit offenbarem
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