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108 Psychische Studien, XXVII. Jahrg. 2. Heft. (Februar 1900.)
Jean Paul: „Unter allen Erscheinungen sind die von eben
Verstorbenen oder von Sterbenden am schwersten abzuleugnen
. Der Todte der Stunde trägt gleichsam noch
Erdenstaub genug an sich, um damit noch einmal im
Sonnenstrahle des Lebens vor einem geliebten Auge zu
spielen." So nahm auch Plato an, dass eine dem Sinnlichen
zugewandte Natur durch längere Zeit etwas Erdenstaub an
sich habe, daher leichter wahriiehmbar and wirkend sei.
Die vollständige Loslösung vom Zellenorganismus und die
volle Entfaltung des neuen, transscendentalen Bewusstseins
kann nicht in dem einen Augenblicke des Todes sich
vollziehen. Auf die Analogie der Inkubationsperiode im
Mutterleibe als Involution des in die Erscheinung tretenden
transscendentalen Subjekts mit der Evolution des im Tode
sich wieder dematerialisirenden Subjekts sei hier nur
andeutungsweise hingewiesen. Somit giebt die allmähliche
Vollziehung des Wechsels der grobsinnlichen und der verklärten
Leiblichkeit die Unterlage, den Träger ab, mittelst
welches das Hereinragen der Geisterwelt in das Diesseits
sich noch abspielen kann, während der fliessende Uebergang
im Wechsel der Anschauung, des Bewusstseins uns die
Motive zu diesen Manifestationen aus dem Jenseits liefert.
Der Somnambulismus lehrt, dass die magischen Kraftwirkungen
ausgelöst werden durch einen Monoideismus von
hohem Gefühlswerthe. Schon im Hypnotismus, sobald er
mit dem Bewusstseinsinhalte des Hypnotisirten tabula rasa
gemacht hat, dominirt der eine suggerirte Gedanke des
Hypnotiseurs mit unwiderstehlicher Gewalt. Und die
Wirkung würde in eben dem Grade sich steigern, in dem
die Suggestion für den Empfänger an Gefühlswerth gewönne,
eine derartige würde, dass sie die Seele bis in ihre Tiefen
zu erregen vermöchte. Solche innerliche Erregung durch
einen hochgesteigerten Wunsch von ausschliesslichem,
höchstem Gefühlswerthe findet vorzugsweise beim herannahenden
, eintretenden Tode statt und ruft alsdann Fernwirkungen
, Phantombildungen hervor, die noch leugnen zu
wollen nur auf gänzlicher Unkenntniss der Thatsachen, auf
einer Vogel Strauss-Politik beruht. Solche Monoideismen
werden aber auch, falls sie nicht noch vor dem Tode zur
Auslösung gelangen, über den Tod hinaus in das Jenseits
mit hinübergenommen, beziehungsweise durch ein übermächtiges
, dominirendeß Bedürfniss der Ueberlebenden in
den Abgeschiedenen hervorgerufen. Immer aber mit der
Beschränkung, dass die Möglichkeit für das Wirken
Jenseitiger in das Diesseits mit jedem Tage abnimmt und
in einer nicht näher zu bestimmenden, immerhin nicht allzu
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