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110 Psychische Studien. XXVII. Jahrg. 2. Heft. (Februar 1900.)
Ziehungen zur Sinnen weit. Das beweist uns auch der Roman
von Charles Dickens „Edwin Drood", der von seinem Verfasser
unvollendet hinterlassen und, was das Seltene an
diesem Falle, erst drei Jahre nach seinem Tode durch die
Hand eines ungebildeten Mediums vollendet wurde. Wir
lesen hierüber: „Der Griffel ist da aufgenommen, wo er
vom Tode fallen gelassen ward, und die Geschichte fährt,
die alte mit der neuen, so vollständig übereinstimmend fort,
dass selbst der scharfäugigste Kritiker, der vorher nicht
wusste, wo das Alte aufhörte und das Neue begann, nicht
um seines Lebens willen zu sagen wüsste, wo Charles
Dickens starb."
Charles Dickens hat also nach unserem phänomenalen
Zeitmass drei Jahre gebraucht, um sich aus dem Labyrinth
seiner schaffenden Phantasiewelt herauszufinden. Ein Kant,
der schon in seinem Erdenleben ein vorwiegend der Erde
abgewandtes, geistiges Schauen hatte, wird sich ungleich
leichter und schneller vergeistigen, den Anschauungswechsel
schneller vollziehen, jede Beziehung zum Erdenleben radikaler
lösen, als grobsinnliche, materielle Menschen, die nur der
Befriedigung ihrer niederen, fleischlichen Lüste gelebt und
vielleicht gar für den Staubfrass den Preis des Verbrechens
zu zahlen sich nicht gescheut haben. Ich leugne also, um
mit der Terminologie Heilenbach^ zu reden, die Rückkehr
der Todten und erkenne auf eine noch nicht vollzogene
Abreise irgendwie noch erdgebundener Geister. Auch du Prel
sagt in seiner magischen Psychologie: „Von dem ganzen
psychischen Leben der Verstorbenen können wir Menschen
nur die wenigen Bestandteile erhaschen, die auf einem
Zurückschweifen ihrer Gedanken nach der Erde beruhen,
und dazu gehören die Monoideismen, mit denen sie sterben.
Nur diese zurückschweifenden Gedanken können zu Spukgeschichten
Veranlassung geben, dagegen alles auf das
Jenseits selbst Bezügliche, was ihr Leben ausfüllt, können
wir nicht feststellen." Denn die Eigenschaft, die Eindrücke
der Geisterwelt in diesem Leben zum klaren Anschauen zu
entwickeln, kann schwerlich wozu nützen, weil dabei die
geistige Empfindung nothwendig genau in das Hirngespinnst
der Einbildung verwebt wird, dass es unmöglich sein muss,
das Wahre von den grossen Blendwerken, die es umgeben,
zu unterscheiden. So wenig also, wie die Trancereden der
Medien, so werJg lässt auch das Verhalten der Phantome
in spiritistischen Sitzungen irgend welchen Schluss auf das
Leben im Jenseits zu. Der Spiritist, der seine Besonnenheit
nicht verliert, rauss sich also sagen, dass der Spiritismus
uns nicht das Jenseits entdeckt, sondern nur wenige
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