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Didier: Urchristenthum und Spiritualismus.
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Direktor des allgemeinen medizinischen Archives in Paris,
an sich selbst erfahren hat. Eines Tages nämlich theilte er
mehreren Leuten mit, dass in der Leitung der A. m. A. eine
Veränderung stattgefunden habe. Nach Verbreitung dieser
Nachricht, Hess er sich des Abends anmelden, um sich befragen
zu lassen, woher er diese Mittheilung wohl haben könne.
Er dachte nach und, nachdem er wohl erwogen hatte, stellte
er fest, dass er eine Thatsache geglaubt und als real verbreitet
hatte, die er in der voraufgegangenen Nacht einfach
geträumt hatte.4' (pag. 7, IL)
[Man sieht auch hierin ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal
zwischen romanischer und germanischer Individualität
. Es kann nicht geleugnet werden, dass der Franzose
ein viel stärkeres subjektives Empfinden hat, und dass bei ihm
demgemäss das individuelle Empfinden des Subjekts in eine
meist excentrische Lage zum Objekt der realen Wirkung gebracht
wird, entgegen dem Deutschen, der sein Ich in kalter Erwägung
und Reflexion stets (? Red.) in das richtige Verhältniss
der Praxis zu rücken versteht. I)er Franzose ist unstreitig me-
diumistischer veranlagt als der Deutsche und der Engländer,
und wenn es hier gestattet wäre, weiter auszugreifen, so dürfte
die subjektive Befangenheit der Richter und Zeugen
im Dreyfus-Prozesse, soweit diese noch der gallo-romanischen
Art angehören oder besser von ihr abstammen und nicht
etwa französirte Deutsche sind, kein unwesentliches Agens
sein für die Konstruktion eines Urtheils, das die halbe Welt
ein Dilemma nennt, während — weil zweifellos von Ehrenmännern
ausgehend*) — es vielleicht nur die Explosion
innerer subjektiver Konflikte darstellt. Anm. d. V.]
Und pag. 8, III: . . . „Sobald die oneirische Idee das
Gebiet des Bewusstseins völlig zerstört, ist sie eine Art
Monoideismus, der das Subjekt bis zur Unterwürfigkeit
im Gehorsam beherrscht, gleichsam als Behaftetsein.
Dr. Tissie bezeichnet dies alsKaptivation. Anderentheils
bewirkt der Traum nur die Verstärkung einer Idee, einer
blos präexistirenden Neigung, wenigstens im latenten
Zustande". —
*) Unterzeichneter kann obigem, wenn auch geistreichen Beschönigungsversuch
der Handlungsweise jener Mitglieder des Kriegsgerichts
von Reimes, welche den von der Geistesaristokratie der ge-
sammten civilisirten Menschheit für unschuldig gehaltenen Märtyrer der
Teufelsinsel auf Grund mindestens sehr zweifelhafter Verdachtsgründe
abermals verurtheilten, durchaus nicht zustimmen, indem er darin lediglich
einen Akt feiger Nachgiebigkeit gegenüber dem Wunsch
der maassgebenden Generalstabsoffiziere erblickt, über deren moralische
Verkommenheit doch der ganze Verlauf des Prozesses geradezu haarsträubende
Einzelheiten an den Tag brachte. — Der Schriftleiter.
Psychische Stadien. Tebruar 1900. 8
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