http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1900/0165
158 Psychische Studien. XXVII. Jahrg. 3. Heft. (März 1900.)
die Aktualitätspsychologen, allen voran Wundt, darzuthun,
dass der Begriff der Substantialität lediglich der Körperwelt
entnommen und erst später auf Seelisches übertragen
worden sei, dass also dieser metaphysische Begriff nur ein
der Naturwissenschaft meuchlings entwendetes und dann zu
fremden Zwecken missbrauchtes Prinzip sei. Diese Behauptung
erscheint mir jedoch durchaus willkürlich. Die
Naturdinge, welche uns umgeben, sind niemals Substanzen
im logischen Sinne, denn sie bestehen nach der herrschenden
Annahme aus einer unendlichen Reihe von Atomen, sie
sind also nicht einfach, sondern zusammengesetzt. Die Atome
selbst aber sind nichts weiter als eine Fiktion und entziehen
sich unserer sinnlichen Wahrnehmung. Auch der
Vergleich einer seelischen Substanz mit einem Einzel-Atom
ist unhaltbar; denn Atome können eben nur in inniger,
körperlicher Verbindung gedacht werden, während wir uns
sehr wohl eine seelische Einzeisubstanz klar und deutlich
vorstellen können. — Umgekehrt aber können wir die Seele
nur als Thätigkeit, als Aktuelles gefasst, uns absolut nicht
recht vorstellen. Wo liegt das Zwingende, dass auf den
Gedanken A die Empfindung B folgt und sodann wieder
die Gedanken G, D ? Wie soll diesen mannigfachen, psychischen
Vorgängen eine Einheit zuertheilt werden, wenn es
nichts Zusammenfassendes gibt, welchem dieselben inhärent
sind? Nach der Anschauung der Aktualitäts-Psychologen
ist eine Seele nichts weiter als ein Bündel zufälliger Gedanken
, Empfindungen und Perzeptionen; um nun eine
solche Seele mit der Körper weit in Wechselwirkung zu
bringen, müssen sie die DesearteJsehe Unterscheidung zwischen
der denkenden und der ausgedehnten Substanz wieder
aufwärmen und mit einem neuen Firmenschild versehen*).
Dies und nichts weiter ist es, was Wundt unter dem
wohlklingenden Namen des Para 11 elismus zwischen
Psychischem und Physischem zu propagiren versucht
. Damit aber stehen wir vor dem alten Räthsei, an
welchem sich das ganze siebzehnte und achtzehnte Jahrhundert
vergeblich abgemüht hat. Dieser Parallelismus
zwischen der Körper- und Geisteswelt, welcher heute von
*) Noch besser thut dies wohl die von Leibniz angenommene Lehre einer
(von Gott) prästabilirten Harmonie des Alls, wonach die Veränderungen
sämtlicher (auf einander nicht direkt einwirkender, sondern nur
den Gesetzen ihres eigenen Wesens folgender) Monaden infolge des gegenseitigen
Sichentsprechens ihrer Vorstellungen miteinander parallel gehen,
indem jede einzelne Monade zu dem ganzen und stets selben Universum
in lebendiger Beziehung steht und in jeder das Universum und sein Gang
sich reflektirt. — Red.
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1900/0165