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160 Psychische Studien. XXVII. Jahrg. 3. Heft. (März 1900.)
bereits David Hume in seiner Schrift: „Inquiry concerning
human understanding" (1748) das Wesen und die Grenzen
der Kausalität gerade nach dieser Seite hin klar beleuchtet
hat. Hume wies nach, dass in dem Verhältniss von Ursache
zu Wirkung auch durch die eindringendste Analysis gar
nichts ^on Nothwendigkeit aufgezeigt werden könne. Er
machte klar, dass in der Kausalität weder eine logische
Nothwendigkeit steckt, wie etwa, dass aus dem Begriff der
Ursache die Wirkung gefolgert werden könnte, noch dass
zwischen dem thätigen und dem leidenden Theil irgend ein
Zwang besteht. Alles, was uns kausal vorkommt, ist nichts
weiter, als das regelmässige Zusammensein von Erscheinungen
in einer gewissen Zeit.
Kant hat diese prachtvolle Ideenreihe von Hume in
der Weise übernommen, dass er die immanente Bedeutung
der Kausalität auf das Bereich des „a posteriori" eingeschränkt
wissen wollte. Damit hat er m. E. allerdings
mehr ein praktisches Zugeständnis gemacht, als eine theoretisch
zureichende Widerlegung des extremeren, aber analytisch
schärferen Standpunktes Hume's erzielt. Kant, der
grosse Legirer getrennter geistiger Strömungen, ist in
diesem kleineren Falle genau so verfahren, wie in seiner
Hauptleistung: als ein kühner und zugleich kluger Münz-
wardein wusste er aus dem spröden Edelbarren Bwm^scher
Anschauung durch mildernde Zuthaten Kourantmünze zu
schlagen, die wir heute ebensowenig wie damals entbehren
können 1 Kanfs scharfem Blick war es nicht entgangen,
dass die geradlinigen Konsequenzen von Hume's Analyse der
Kausalität zum wissenschaftlichen Nihilismus*) führen.
Obwohl uns also so vorzügliche Denker wie Hume und
Kant deutlich gezeigt haben, dass im Bereich des Naturgeschehens
der Kausalität nicht der Charakter der Nothwendigkeit
anhängt, ist ihr durch die bereits im Eingang
gekennzeichnete Vernachlässigung aller höheren Ideen in
unserem Jahrhundert dennoch diese Bedeutung beigelegt
worden. Die Auflösung dieses wissenschaftlichen Grundirrthums
hat sich heute allerdings von innen heraus soweit
verbreitet, dass es dem Okkultismus eine dankbare Aufgabe
sein wird, sie von aussen her ganz vollziehen zu helfen.
Durch die Annahme des psycho-physischen Parallelismus
wurde Wundt und mit ihm die zahllosen Bekenner dieser
Anschauung dahin getrieben, die Konstruktion einer doppelten
Kausalität zu versuchen, einer äusseren für das physische
Naturgeschehen und einer inneren für das Seelenleben,
*) d. i. Agnostizismus, wornach wir überhaupt nichts erkennen könnten.
— Red.
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