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Seithel: Ein Protest gegen astrologische Zumuthungen. 169
einfachen Maschinen herabzuwürdigen, die von „Gott wem"
aufgezogen wurden und in längerer oder kürzerer Zeit ablaufen
, ohne dass man sagen könnte, zu welchem Nutzen oder
zu wessen Frommen, es sei denn des eigenen sinnlichen
Genusses bezw. Leidens oder als Düngung.
Wo bleibt da Idealität und Moral? Wo bliebe die
Weisheit, Gerechtigkeit, Liebe des Schöpfers?*) Ich nehme
nämlich an, dass Herr Kniepf einen solchen nicht läugnet.
Aber auch die Thesen 1—5 wollen mir nicht einleuchten :
Ad 1) meine ich, dass unser irdisches Leben nicht erst
mit der Geburt beginnt, sondern mit der Empfängniss. So
wie das in die Erde gelegte Samenkorn schon während des
Keimens Leben zeigt und verderben kann, ebenso der Fötus
im Mutterleibe, und wenn die Astrologie Berechnungen anstellen
will, da müsste sie die Einwirkungen der Konstellation
der Gestirne auf diesen Anfang zurückführen, würde aber
dabei schlechte Geschäfte machen, weil die Minute der
Empfängniss schwer festzustellen sein würde, selbst nicht
durch Zurückrechnen von der Geburt ab.
Ad 2) nimmt die Astrologie die Summe aller Gelehrsamkeit
in Anspruch; gewiss ein Zeichen, dass sie nicht an
den Satz des weisen Sokrates glaubt, nach welchem derjenige
am weisesten ist, welcher erkennt, dass er Nichts weiss.
Ad 4) Selbst wenn ich zugeben will, dass die Gestirne
auf unser leibliches Wohlergehen Einfluss haben, so glaube
ich doch nicht, dass damit unser Schicksal im voraus bestimmt
ist; denn weshalb sollte der Einfluss der Gestirne, die bei
unserem Beginn (sei es Empfängniss oder Geburt) zufällig
am Himmel waren, nicht durch denjenigen alterirt werden,
den die verschiedenen Konstellationen während unseres Lebens
ausüben? Dabei bringe ich in Erinnerung, dass bei den
astrologischen Berechnungen nicht einmal der Einfluss aller
kleinen Planeten unseres Sonnensystems in Ansatz gebracht
zu werden scheint, viel weniger, in wie weit unser Sonnensystem
von den Millionen anderer Sonnensysteme beeinflusst
wird.**)
*) Damit wird wieder eine neue und, wie ich glaube zunächst nicht
zur vorliegenden Sache gehörige Frage hereingezogen. Für die exakte
Wissenschaft ist schon deshalb, weil es a priori einleuchtet, dass der beschränkte
, endliche Verstand des Menschen das unendliche Wesen nicht
erfassen, geschweige sich eine Vorstellung davon machen kann, die Annahme
eines selbs*bewussten Gottschopfers das x der Mathematik, mit welchem man
rechnen kann, unter Umständen rechnen muss, ohne es definiren, bezw. beweisen
zu können. — Dr. F. Maier.
**) Dies scheint auch uns ein Hauptbedenken gegen die astrologische
Theorie zu sein, während von Zufall nach derselben überhaupt keine Rede
sein könnte. — Red.
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