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178 Psychische Studien. XXVII. Jahrg. 3. Heft. (Märe 1900.)
Den schmalen Weg und die enge Pforte, auf dem und
durch die wir allein zum Siege schreiten können, habe ich
gezeigt: nur Anknüpfung an das Vorhandene bahnt Verständnis
an, und es kann nicht zweifelhaft sein, wer von
beiden an die bestehende Wissenschaft anknüpft: der Ani-
mi8mus mit seiner Korrektur und Vertiefung der Psychologie
, oder der Spiritismus mit seinen unkontrollirbaren
Thatsachen und Aussagen. Es ist und bleibt eine pädagogische
Grundregel, vom Bekannten zum Unbekannten fortzuschreiten
, die Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit auf der
Wirklichkeit aufzubauen. Darum kann es nur unser dringender
Wunsch sein: möge der Okkultismus von seinen Vertretern
vor Misskreditirung bewahrt, dagegen mehr und
mehr gefördert werden, auf dass die Zeit sich erfülle, die
Schopenhauer ahnend vorher gesagt hat, die Zeit, wo
Philosophie, animalischer Magnetismus und die in allen ihren
Zweigen beispiellos vorgeschrittene Naturwissenschaft gegenseitig
ein so helles Licht auf einander werfen, dass Wahrheiten
zu Tage kommen werden, welche zu erreichen man
ausserdem nicht hoffen durfte. Diese Wahrheiten werden
aber, wie alle Wahrheiten, keine metaphysischen sein —
das ist der bleibende Ertrag der Kritik der reinen Vernunft
—, sondern das Dunkel der Menschenseele werden sie
aufhellen und dazu beitragen, dass der Mensch die ihm auf
Erden gestellten Aufgaben klarer erkennt und löst; denn,
sagt Kant, „es ist ganz und gar nicht unserer Bestimmung
gemäss, uns um die künftige Welt viel zu kümmern, sondern
wir müssen den Kreis, zu dem wir hier bestimmt sind,
vollenden und abwarten, wie es in Ansehung der künftigen
Welt sein wird.4* Wer dagegen den Offenbarungen des
Trance lauscht und, wie es du Prel nicht ganz korrekt
nennt, damit praktische Mystik treibt, nimmt als irdische
Person den Vorsatz zurück, aus welchem sein transscenden-
tales Subjekt sich inkarnirt hat. Denn der Mensch vermag
zu seinem transscendentalen Wohle nur die Weisheit zu erkennen
, zu verdauen und zu verwerthen. welche er aus sich
selbst, aus seiner Erfahrung geschöpft hat. Was meiner Psyche
frommen soll, muss psychischer Herkunft sein, psychologischen
Charakter tragen. Unsere Unwissenheit betreffs des künftigen
Lebens ist aber eben die Voraussetzung dafür, dass wir aus
diesem irdischen Leben transscendentale Vortheile ziehen.
Wie nach Lessing, Erziehung des Menschengeschlechts, § 99,
die Erinnerung meiner vorigen Zustände, so würde auch
das Vorwissen meines zukünftigen Zustandes mir nur einen
schlechten Gebrauch des gegenwärtigen zu machen erlauben.
Darum wird jeder spiritistische Versuch, den Vorhang zu
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