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W. Bohn: Ein Fall von doppeltem Bewnsstsein. 207
seins schlie8st nicht eine Vernichtung der losgetrennten
Elemente in sich, sondern nur eine Unthätigkeit für einen
gewissen Zeitabschnitt, eine Art Schlaf derselben für gewisse
Perioden. Dabei treten dann Elemente der Persönlichkeit
in den Vordergrund, die bis dahin aus irgend welchen Ursachen
keine grössere Bedeutung erhalten hatten, und die
nun die Täuschung einer ganz andersartigen neuen Persönlichkeit
in diesem Individuum hervorrufen. Wird die gelöste
Verbindung wiederhergestellt, so muss uns die ursprüngliche
Persönlichkeit von Neuem < entgegentreten, tritt eine der
früheren gleichartige oder eine andere Lockerung auf, so
erscheint die zweite oder eine dritte Persönlichkeit auf
dem Platze.
Ausser krankhaften Störungen im Gebiete der psychischen
Apparate des Gehirns tritt uns aber vielfach noch eine
andere Quelle der zu besprechenden Bewusstseinsstörungen
entgegen in den Störungen des sensiblen und motorischen
Verhaltens des Körpers. Gerade auf diesen Punkt werde
ich bei der Casuistik der Fälle von Wechsel der Persönlichkeit
hier einen hervorragenden Werth legen.
Wir können sagen, dass in letzter Linie jede Thätigkeit
eine Art Reaktion unseres Organismus auf die Einwirkungen
der Aussenwelt ist. Damit diese Reaktion immer in derselben
Weise verlaufen kann, bedarf es einer sich gleichbleibenden
Empfindungsfähigkeit des percipirenden Mediums,
des Körpers, und eines gleichbleibenden Ablaufs der Motilitäts-
erscheinungen desselben. Die bei schweren Erkrankungen
so häufig zu konstatirende Aenderung des Charakters und
der Stimmung könnte also mitunter in andersartiger Empfindlichkeit
des Nervensystems ihren Grund haben. Wird
das Bewusstsein der Körperlichkeit, der „Punktion der
Summe aller Gefühlsnerven" (Wernicke) verändert, so tritt
eine veränderte Reaktion auf, d. h. unser (motorisches) Verhalten
beginnt sich zu ändern, die Persönlichkeit erscheint
als eine andere. Es ist nun beobachtet worden, dass der
„Wechsel der Persönlichkeit" vielfach mit gleichzeitig und
immer gleichartig auftretenden Störungen des sensiblen und
motorischen Gebietes verknüpft ist. Ob sich zwischen den
psychischen und den somatischen Symptomen eine Verbindung
etwa im causalen Sinne wird finden lassen, das zu
beobachten wäre Sache eines darauf gerichteten klinischen
Studiums. Das vorhandene casuistische Material, das ich
im Folgenden gesammelt habe, reicht leider dazu noch nicht
aus. Dass aber sensible und motorische Störungen Veränderungen
auch der psychischen Thätigkeiten hervorbringen
können, das ist wohl ohne Weiteres klar, wenn wir an die
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