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Prof. Hermann: „Okkult" oder „magisch", etc.
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ungefährlich, für eine werdende Wissenschaft oder Kunst
oder auch Religion eine neue Nomenklatur aufzustellen,
welche die Möglichkeit der Dogmenbildung in sich
schliesst. Das dogmatische „Er selbst hat es gesagt" versteinert
eines Meisters Wort zum Götzenbilde, dem sich
dann auch die abweichenden selbstständigen Begriffe
beugen müssen. —
Gerade auf dem Gebiete des „Unbekannten0 ist die
Gefahr eine besonders grosse, dass bei fehlendem Begreifen
das Wort eines „Meisters" sich einstellt, um
unbequeme Denkarbeit, bezw. unheimliches Schauen zur
Scheidemünze des Gedankenmarktes zu prägen. — Im Januarheft
der „Psych. Studien" a. c. ist eine Uebersetzung der
von einem angesehenen englischen Psychiker vorgeschlagenen
Nomenklatur für das Gebiet des ,,Unbekannten" wiedergegeben
. So werthvoli auch eine allmälige Einigung über
die „Begriffsworte" unter den Gleichstrebenden ist, so
schwierig ist es andererseits auch, das richtige Begriffswort
zu prägen, ohne aus der Scylla der unverständigen und
unverständlichen Schematisirung in die Charybdis der babylonischen
Sprachenverwirrung zu gerathen.
Als methodologischer Leitfaden bei der Neubildung
eines derartigen „terminus technicus" müsste stets das altbewährte
logische Gesetz gelten, dass die hypothetischen
Ursachen nicht unnütz vermehrt werden sollen. So lange
wir also noch mit den bisher giltigen Begriffen auskommen
, sollten wir auch versuchen, auszukommen mit den
bisher giltigen Worten.*) Und wenn behauptet wird, der
Begriffswerth der Worte wechsele eben in Uebergangszeiten,
so suche man eher ein anderes, noch nicht gewechseltes
altes Wort, als dass man ein neues präge.
Es heisst zum Beispiel, der Ausdruck „spiritistisch"
gebe heute einen anderen Begriff wieder als früher. Und
so habe man zu dem genaueren Worte „okkult" seine Zuflucht
genommen. Von anderer Seite wurde mit viel Aufwand
von Dialektik auch diesem Worte die wissenschaftliche
Fakultas, die Berechtigung für die moderne Experimental-
Psychologie abgesprochen, da es mittelalterliche Reminis-
zensen errege; und aus dem „Neo-okkulten" wurde schliesslich
das „Xenologische."
Wieder von anderer Seite wurde schlechtweg empfohlen,
statt eines Wortbegriffes ein Begriffswort zu setzen und zu
sagen „supei normal". Ein scharfsinniger Grammatiker unterschied
dann wieder zwischen „supranormal" und „subnormal".
**) Ganz unsere Ansicht. — Red.
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