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Gubalke: Zur Psychologie in der Christenthumsfranre. 223
Zur Psychologie in der Christenthumsfrage.
Von Max Gubalke, Pfarrer a. D. (Berlin).
Auf die Replik des Herrn Hofrath Seiling in den
„Psych. Studien" (Februar-Heft 1900) sehe ich mich notgedrungen
zu nachfolgender Duplik veranlasst. In hoher
Anerkennung seines freimüthigen Eingeständnisses, in
„einigen" Punkten von mir Belehrung erhalten zu haben,
kann ich gleichwohl nicht davon abstehen, auf der ganzen
Linie den Gegner zum Kapituliren zu bringen: die Maschen
sind fest und zu eng gezogen, als dass derselbe dem Netz
der Thatsachen und der Logik entschlüpfen könnte. Untersuchen
will ich es nicht, ob und wie viel ich Veranlassung
hatte, direkt die Ansichten des Herrn S. zu bekämpfen
oder die der von mir (im Dezember-Heft v. J.) citirten
„Christenthumsforscher." Aber auch ohne im einzelnen
abwägen zu wollen, wie viel von den zurückgewiesenen „Verzerrungen
" auf sein Konto, wie viel auf das der Anderen
kommt, werden doch von Herrn & gewisse Sympathien mit
den berichteten Ansichten sich nicht in Abrede stellen lassen.
Zu welchem Zwecke hätte er sie sonst erwähnt, da er sie
weder bekämpft, noch mit der du Pret'sehen Weltanschauung
in Beziehung gesetzt hat, und zu einer blossen Bundschau
laienhafter, entgleister Ansichten die Festschrift doch wohl
nicht der geeignete Platz gewesen wäre. Hätte ich indes
wirklich die feine Grenze zwischen der Meinung des Herrn
S. und derjenigen der Anderen nicht zu finden vermocht,
so trägt er selbst die Schuld hiervon, wenn er Dinge „zwischen
den Zeilen" gelesen haben will, welche bei der ausserordentlichen
Wichtigkeit des Gegenstandes doch wahrlich im Texte
deutlich ausgesprochen zu werden verdient hätten.
Vorauszuschicken habe ich, dass ich in meinem Aufsatze
„Moderne Christenthumsforscher" ausdrücklich nur von den
Grundanschauungen Jesu selbst und deren Verzerrungen
gesprochen, dagegen auf die Praxis des Petrus und die
Theorien des Paulus nur insofern Bezug genommen habe, als
sie Eückschlüsse auf Jesu Lehre gestatten, sowie auf das
Alte Testament nur, insoweit Jesus den Standpunkt desselben
verinnerlichte und weiter führte. Ein Oitat aus dem Johannes-
Briefe (und -Evangelium) *) würde also schon an sich Nichts
*) Nur die drei ersten Evangelien wollen als Biographien des
geschichtlichen Jesus von Nazareth angesehen sein, während das vierte nach
Johannes genannte Evangeliuir eine Monographie des in der Gemeinde
sich auswirkenden Christusgeistes ist. Auf die redaktionelle Anmerkung in
der Replik erwidere ich, dass auch die besonnenste Kritik in den escha-
tologischen Reden Jesu Matth. 24 nur vaticinia ex eventu erblickt. - [Ohne
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