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224 Psychische Studien, XXVII. Jahr*. 4. Heft. (April 1900.)
gegen meine Position besagen, selbst wenn ich nicht ausdrücklich
terminologisch auf den w johanneischen und
epistolischen gottfeindlichen xööfiog hingewiesen hätte:
„nämlich des Fleisches Lust und der Augen Lust
(6jvi&v[iia) und hoffärtiges Leben.*1 Sollte aber wirklich
Herr S. die Ehe unter keinem anderen, höheren, edleren
Gesichtspunkte anzusehen vermögen, kein Verständniss für
den pädagogischen Werth derselben besitzen? Das möchte
ich doch nicht glauben! Ich als überzeugter Relnkarnist
gehe sogar noch weiter. Derjenige, welcher zu seiner Ent-
wickelung selbst noch wiederholter Wiedergeburten bedarf,
hat sogar die auf Gegenseitigkeit beruhende Pflicht, durch
eheliches Geschlechtsleben Anderen den Eintritt in das
Diesseits zu ermöglichen *) Ein vollendeter Christus dagegen,
der das Rad der Geburten durchlaufen hat, ist allerdings
auch der Pflicht überhoben, Anderen als Geburtshelfer zu
dienen. Uns Okkultisten muss es doch nahe liegen, auch
den Geschlechtstrieb und seine Befriedigung von einem
transscendentalen Gesichtspunkte aus zu betrachten. Ferner
„weltliche Hantirung" ist doch auch Essen und Trinken wie
uns auf weitere rein theologische Erörterungen hierüber, zu welchen in den
„Psych. Stud.u im allgemeinen kein Platz ist, einlassen zu können, möchten
wir doch gegen den uns wohl bekannten Versuch, in den Reden Jesu über
„die letzten Dinge" später erfundene „Prophezeiungen aus dem Erfolg4* zu
erblicken, entschiedenen Widerspruch erheben. Wenn irgend etwas aus der
Ueberlieferung der Synoptiker auf den unbefangenen (resp. nicht theologisch
beeinflussten) Kritiker den Eindruck der Echtheit macht, so sind es gewiss,
neben den geistvollen Sprüchen der Bergpredigt, die entschieden auf eine
gross angelegte, ethisch sehr hoch stehende und stark individueü ausgeprägte
Persönlichkeit hinweisen, gerade jene Stellen, wo von seiner Parusie d. i.
seinem erhofften Wiedererscheinen zum Weltgericht die Rede ist Wenn aber
Jesus in der citirten Stelle (Matth 24, 34) ausdrücklich sagt, dieses Geschlecht
, d. h. die lebende Generation werde nicht vergehen, bis dass dies
Alles geschehe (dass nämlich, nach V. 29, Sonne und Mond den Schein verlieren
und die Sterne vom Himmel fallen, was Jesus offenbar als unmittelbare Folge der
von ihm klar vorausgesehenen Zerstörung Jerusalems für die nächste Zukunft
erwartete), so liegt es doch mindestens näher zu konstatiren, dass er sich in
dieser phantastischen Erwartung, die dann in der Apokalypse durch die ersten
Christen nur weiter ausgesponnen erscheint, einfach täuschte, als durch
sophistische Spitzfindigkeiten im Geschmack der orthodoxen Theologie, deren
letztes Motiv zweifelsohne in dem Bestreben zu suchen ist, ihm den Charakter
der Imfehlbarkeit um jeden Preis zu wahren, nachträgliche Andeutungen der
Worte des Meisteis anzunehmen, von welchen, eben weil das dort Prophezeite
thatsächlich nicht eingetreten ist, nach unserer unmassgeblichen Ansicht keine
Rede sein kann. — Red.]
*) Dies scheint auch uns die logische Konsequenz der Reinkarnations-
Jehre zu sein, über welche der Herr Verf. aus AnJass des am 17. Febr. er.
stattgefundenen 300 jährigen Todestags des zumeist wegen dieser Lehre vom
römischen Tribunal zum Feuertod verurtheilten grossen Pantheisten Giordano
Bruno einen werthvollen Beitrag in den „Psych. Stud." später veröffentlichen
wird. — Red.
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