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230 Psychische 8tudien. XXVII. Jahrg. 4. Heft. (Äprü 1900.)
des Schicksals wahrnehmen, so haben die indischen Astrologen
die Moral in die Reinkarnation als Karma verlegt.
Ich weiss nicht, ob sie Recht haben. Warum musste Mozart
so jung sterben, während er, wie er sagte, nun erst recht
anfangen wollte zu schaffen? —
Ob Astrologie oder nicht, über diese Probleme giebt es
nur Vermuthungen, Meinungen, Religionsdogmen, Theosophien
. Die Astrologie zeigt uns aber doch einen hereditären
Zusammenhang über die Geschlechter und eine wunderbare
Logik in der Artung der Individuen und in ihren
Geschicken, was die technische Darlegung erst genügend
erläutern würde.—
Für das Glück, welches die G. P, F. in Breslau mit
der astrologischen Paranoia in ihrer „psychiatrischen Abtheilung
" hat, scheinen mir mehr die Einflüsse des neuen
Ehrenmitgliedes Lombroso verantwortlich zu sein. Ich gebe
übrigens Lombroso nicht Unrecht in seinen Untersuchungen
über Genie und Wahnsinn; astrologisch ist eine Verwandtschaft
der Gestirneinflüsse bei Beiden oft erkennbar, aber
das Genie hat dann wiederum harmonische
Aspekte, die den Unglücklichen, Verbrechern und Irrsinnigen
sehr fehlen. So ist jetzt auch ein sehr grosser
Schachspieler in New-York ins Irrenhaus gewandert: man
wird doch darum nicht das Schachspiel als gefährlich verbieten
. Wie Viele verfallen aus Liebe in Irrsinn, ist sie
deshalb verwerflich? Lombroso wird aber, da er wahrscheinlich
die Astrologie auch als Unsinn betrachtet, ganz triumphiren,
wenn er hört, dass auch Genies wie Kepler, ßacon, Shakespeare
, Shelley sehr stark mit Astrologie behaftet waren;
auch Byron hat die Astrologie besungen.
Mein Aspekt aber von der absoluten Bedingtheit
des Willens ist ebenso berechtigt,
wie der Aspekt von der Freiheit des Willens.
Diese existirt (wie die Redaktion ganz richtig andeutete)
relativ genommen, d. h. nur bis zu einer gewissen
Tiefe der Lebensphänomene gesehen; darunter
oder dahinter jedoch stellt sich die Sache ganz
anders dar! Dies ist freilich schwer sichtbar — man
muss tauchen und die tiefer belegenen Strömungen des
psychophysiologischen Spiels der Kräfte erforschen. Wozu
diese Erkenntniss, mit der ich ja nicht allein dastehe, einmal
dienen wird und was sie vorbereitet, das dürfte mit der
allmählichen Entwicklung und vielleicht Verfeinerung des homo
sapiens zusammenhängen. Eine plötzliche „Umwerthung
aller Werthe" (im Nietzsche?sehe Sinne) erwarte ich davon nicht.
Aber Goethe sagt auch (und Goethe ist nicht für Jedermann):
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