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Kniepf: Wille und Astrologie.
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„Da ist's denn wieder, wie die Sterne wollten:
Bedingung und Gesetz und aller Wille
Ist nur ein Wollen, weil wir eben sollten,
Und vor dem Willen schweigt die Willkür stille;
Das Liebste wird vom Herzen weggescholten,
Dem harten Muss bequemt sich Will' und Grille.
So sind wir scheinfrei denn, nach manchen Jahren,
Nur enger dran, als wir im Anfang waren."
5 („Gott und Welt.")
Gewisse Wahrheiten verträgt die Welt nur in poetischer
Form. Wie aber in einem okkultistischen Organ die Prädestination
des Schicksals so in Zweifel gezogen werden
kann (bezw. verpönt werden soll), ist mir am wunderbarsten.
Die „Geister" werden doch häufig nur der Wahrsagungen
halber citirt, die auf diesem Wege manchmal thatsächlich
klarer und bildschärfer erzielt werden,, als sie vielfach mit
Astrologie herzustellen sind. Jene jedoch sind oft ganz
trügerisch; astrologisch hat man mehr Sicherheit und die
Auswahl, doch sind die Diagnosen mehr typisch. Alles,
was verlangt wird, kann man nicht leisten. Auch die von
den deutschen Okkultisten sehr vernachlässigten physio-
gnomischen Wissenschaften und die Handlesekunst (Chiromantie
) sind bekanntlich Mittel zur Prophetie; dass sie auch
astrologische Elemente enthalten, weiss in England das gebildete
Publikum zu einem sehr grossen Theile, bei uns
hat man freilich kaum eine Ahnung davon. —
Ein indischer Astrolog hatte einem einheimischen Be-
dakteur das Horoskop gestellt und ihm gesagt, in 7 Jahren
würde er sein „ein Papagei im Käfig". 1897 nahm der
Redakteur mit Heftigkeit die Partei seines Volkes gegen
die Engländer und wurde wegen seiner Schmähartikel ins
Gefängniss gesteckt. Erst jetzt erinnerte er sich der sonderbaren
Prophezeiung. Auch hier liegt also Prädestination
vor, wie bei jedem Eisenbahnunglück auch. Wo ist Wille
und Moral bei einem solchen oder z. B. bei dem grossen
Brande des Pariser Wohlthätigkeitsbazars im Mai 1898,
der fast auf den Tag genau 9 Monate vorher von dem
Astrologen Old Moore vorausgesagt wurde? Aber bei weitem
nicht Alles kann man freilich beliebig und richtig im Voraus
berechnen und an irrigen Voraussagungen fehlt es eben
deshalb nicht. —
Die deutschen Okkultisten beschränken sich m. E.
neuerdings allzu sehr auf den ziemlich unfruchtbaren Streit,
ob Animismas oder Spiritismus; ich mache sie wiederholt
auf die mehr praktischen Geheim Wissenschaften aufmerksam;
sie sind der theoretischen Forschung unentbehrlich, ganz abgesehen
vom praktischen Wahrsagen. Die Astrologie müsste
in Deutschland freilich erst organisirt werden, was jedoch
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