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282 Psychische Studien. XXVII. Jahrg. 5. Heft. (Mai 1900.)
Separatum aus der ^Zeitschrift für Hypnotismus" gütigst
zur Verfügung stellte. Dieselbe reiht sich den geschilderten
Zuständen an und bietet das Symptom der Unterbrechung
der Persönlichkeit, interessirt aber vor allem durch die
günstige Beeinflussung der Heilung vermittels der hypnotischen
Suggestion. Dadurch bietet sie mir Gelegenheit, auch meinen
später freilich erst ausführlich dargelegten Standpunkt
betreffs des Hypnotismus schon hier zu präcisiren. Naef
bezeichnet den Krankheitsfall als temporäre, totale, theilweise
retrograde Amnesie; nach unserer Auffassung ist es ein rein
hysterischer Zustand mit dem genannten Symptcm.
Kurz skizzirt, stellt sich die Krankengeschichte folgender-
massen dar:
Ein 32jähriger, hoch gebildeter, erblich schwer belasteter
Mann, nervös und von schwacher körperlicher Konstitution,
litt schon in früheren Jahren einmal an einer kurzdauernden
Bewusstseinsstörungmit Verfolgungsideen und darauffolgender
partieller Amnesie, später mehrmals an Schwindelanfällen.
Einige Monate vor seiner Aufnahme in die Heilanstalt Burg-
hölzli bei Zürich ging er nach einer kurzen ergänzenden Studienzeit
als Beamter nach Australien. Er füllte seinen Posten in
jeder Weise zufriedenstellend aus und erschien geistig völlig
normal. In Australien erkrankte er an einem klimatischen
Fieber. Mit dieser Erkrankung setzt bei ihm ein psychischer
Dämmerzustand ein. Er verlässt seinen Posten, ohne den
Behörden oder seinen Verwandten Mittheilung zu machen,
tritt die Rückfahrt nach Europa an, reist durch ganz Italien
nach Zürich und lässt sich dort nieder. Er hat während
dieser ganzen Zeit eine Reihe völlig koordinirter, scheinbar
bewusster Handlungen ausgeführt, jedenfalls nicht den Eindruck
eines Geisteskranken hervorgerufen. Und doch hat er
keine Ahnung, weshalb er reist, warum er sich schliesslich
in Zürich befindet. Er hat sich also viele Wochen lang in
einem völlig anderen Bewusstseinszustande, ohne allen Zusammenhang
mit seinem normalen Geistesleben, befunden.
Die Erinnerung an sein ganzes früheres Leben war völlig
ausgelöscht, keine Brücke verband ihn mit seiner früheren
geistigen Persönlichkeit. Andererseits wusste der Patient in
dem nun folgenden normalen Wachzustande nichts von den
Ereignissen während des Dämmerzustandes.
Dieser normale Wachzustand hat sich bei dem Kranken
während seiner Reise durch Italien nach Zürich allmählich
wieder eingestellt, d. h. eine anfangs lückenhafte, später
immer mehr geschlossene Kette von Erinnerungen verbindet
die Geschehnisse des Lebens miteinander, wie dies eben
beim normalen Menschen geschieht.
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