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284 Psychische Studien. XXVII. Jahrg. 5. Heft. (Mai 1900.)
jener Zeit Bezug hat. Aber die Wiederanbildung geht nur
in sehr geringem Grade und äusserst allmählich von statten.
Es wird deshalb der Versuch gemacht, auf suggestivem Wege,
in der Hypnose, die Lösung der gelähmten Associationen zu
versuchen. Nach vielen misslungenen Experimenten gelingt
dies schliesslich bis zu einem gewissen Grade. Aber auch
der natürliche Schlaf bewirkt, wie wir das schon aus anderen
Fällen wissen, ein Auftauchen verlorener Erinnerungen als
Traumbilder. Nur sehr allmählich, durch grosse Schwierigkeiten
hindurch und mit scharf sinniger Anpassung der Methode
an die zu lösende Aufgabe gelingt es Forel, unter kluger
Benutzung jeder auftauchenden Erinnerung nach und nach
die Kette der Thatsachen bis auf das kleinste Glied zu
schliessen und so thatsächlich dem Kranken die Erinnerung
für jene Zeit des Dämmerzustandes wiederzugeben, ihn in
einen geistigen Normalzustand wieder einzusetzen. Ob damit
der Kranke geheilt ist, ist freilich eine Frage, deren Beantwortung
der Zukunft anheimfällt; von seiner Amnesie
ist er sicher befreit.
Die Thatsachen, mit denen der Kranke die grossse Gedächtnisslücke
ausfüllt, entsprechen übrigens, wie die Nachforschungen
ergaben, durchaus den wirklichen Geschehnissen,
womit ein möglicher Einwurf zurückgewiesen ist. Das Krankheitsbild
gehört unter die grosse Eeihe jener Associations-
lähmungen, die, wie überhaupt die Lähmungen, für die
hysterischen Zustände so charakteristisch sind. Wie tiefgreifend
sie auch erscheinen, wie lange sie auch dauern, es
gehen, wie Janet mit Recht hervorhebt, in ihnen keine Er-
innerungszellen zu Grunde, nur Associationsbahnen sind
gelähmt.
Das Einsetzen der ursprünglichen Persönlichkeit erfolgt
auch in diesem Falle nicht mit einem Male, sondern langsam
und alimählich. Bald von diesem, bald von jenem Punkte
aus wird das ganze amnestische Gebiet zurückgewonnen.
Die Lektüre des Originalberichtes, in welchem der individuellen
Technik der hypnotischen Behandlung ein breiter
Raum gewidmet ist, muss uns zur Anerkennung der That-
sache nöthigen, dass hier ein zweifelloser Erfolg erzielt worden
ist. Ist damit die Nützlichkeit und Nothwendigkeit des
Hypnotismus überhaupt sicher gestellt?
Durchaus nicht; ForePs Behandlungsweise unterscheidet
sich eben in diesem Falle in ganz wesentlichen Punkten von
der in Frankreich und sonst beliebten Art der Suggestion.
Der Kranke wird nicht zu psychischen Versuchsreihen benutzt,
wie die später zu schildernden Kranken der französischen
Aerzte. Es wird seinem Geiste nichts auf suggestivem Wege
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