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Richet: Ueber die Bedingungen der Gewissheit 295
zeugung» Dieselbe ist jedoch seitdem mehrfach ernstlich
erschüttert worden, theils in Folge jenes oben beschriebenen
psychologischen Prozesses der^ Rückkehr zu der gewohnten
yeökaKßise,, theils . aber auch durch das VerselmldeiTlIes
Mediums selbst; meine eigene vierte Pariser Versuchsreihe
jedoch bestärkte mich, wie auch Herrn Myers aufs neue in
unserer Ueberzeugung. Bevor wir aber einen Bericht über
diese Experimente veröffentlichen, wollen wir erst noch das
Resultat weiterer, unter den strengsten Bedingungen angestellter
Versuche abwarten.
Inzwischen ist es sehr wohl möglich, dass meine Freunde
und ich jene aus den jüngsten Experimenten resultirende Cutt
Kr^ft^derUeberzeugung verlieren. Wir gerathen möglicherweise
wieder in jenen sonderbaren Gemüthszustand, von
welchem ich soeben gesprochen habe. Die Wirklichkeit mit
ihren begründeten oder unbegründeten Vorurtheiien, mit
ihrer Abneigung gegen das Seltsame übt einen so starken
Einfiuss auf uns aus, dass wir uns kaum völlig demselben
entziehen können. Gewissheit erlangt man nicht durch 7
Beweise, solange dieselben der gewohnheitsmässigen Denkweise
widersprechen*
Die Pflicht des Gelehrten ist es jedoch, sich nicht von
der althergebrachten blinden Achtung vor Idolen, wie Bacon
es nannte, beirren zu lassen. Unsere Aufgabe besteht darin,
die Wahrheit zu suchen, ohne Bücksicht auf die Meinung
der Menge. Was kehren wir uns an Popularität? Weder
Spott noch Gleichgültigkeit dürfen uns beeinflussen.
Wenn wir leichtgläubig gewesen sind, so haben wir
deswegen doch nicht die nöthige Vorsicht vergessen; wir
haben, wie schon erwähnt, hartnäckig Widerstand geleistet
. Mein gegenwärtiger Standpunkt ist das Resultat
zwanzigjähriger, sorgfaltiger Forschungen. Ja, — um ein
letztesBekenntniss abzulegen, — ich bin sogar jetzt noch
nicht gänzlich und unwiderruflich überzeugt! Trotz der
erstaunlichen Phänomene, von welchen ich während meiner
sechzig Experimente mit Eusapia Augenzeuge gewesen bin,
habe ich immer noch einen leisen Zweifel, welcher heute
zwar nur unbedeutend ist, aber morgen schon stärker sein ,
kann. Diese Zweifel haben jedoch keineswegs ihren Ursprung !
in irgend einem wunden Punkt des Experimentes, als vielmehr
in der unwiderstehlichen Voreingenommenheit, welche,
mich davon abhält, Thatsachen anzuerkennen, die nach der'
gewöhnlichen und fast einstimmigen Meinung der Menschheit
unmöglich sind."
Anmerkung von F. W. H. Myers. Um zu erklären,
was hier mit Erschütterung der Ueberzeugung gemeint ist,
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