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BouvSry-Maier: Zum internationalen Psyohologenkongress. 299
strengungen, die sich in dieser Richtung vorbereiten — Anstrengungen
, die bis jetzt einzig in der Geschichte dastehen
— die Menschheit fortfährt, irrend hin und her zu schwanken
wie ein mitten im Sturm des Takelwerks beraubtes Schiff.
Die Enttäuschung wird gross sein und eine gefährliche
Entmuthigung kann darauf folgen, welche den Vertretern
des kirchlichen Dogmas Freude machen wird, das nur dann
lebenskräftig ist, wann das Licht verschleiert ist, wann es nicht
das ßewusstsein jedes Einzelnen von uns durchdringen kann.
Vergessen wir nicht, dass die grosse Mehrzahl der modernen
Gelehrten und Schulphilosophen, weil sie sich durch das von
ihnen erforschte mechanische Wesen in uns zu sehr hypnoti-
siren liessea, weil sie die meiste Zeit den Menschen nur auf
einem Spitalbett oder in einer Irrenanstalt und nur allzuoft
durch grausame Thierexperimente studierten, weil sie die
mechanischen Gesetze des Stoffs auf das Denken, das ßewusstsein
anwenden wollten, und so auf die nahe Verwandtschaft
der psychischen mit den physischen Phänomenen
schliessen zu dürfen glaubten, die seelische Seite des Menschen
und damit den normalen Menschen nicht sehen,
nicht beurtheilen konnten. Sie sehen im Menschen nur eine
Maschine oder einen Kranken. Daher jene Theorien über
die Verrücktheit, die Epilepsie, die Neurose des Genies, die
uns an die Worte Regnard's erinnern: „Sie haben in den-
selben Sack die Narren, die Verbrecher und die grossen
Männer gesteckt" (vergl. unsere Pussnote auf S. 176). Das
denkende Ich, kurz die Seele erscheint den meisten modernen
Gelehrten nur als eine „imaginäre Wesenheit", oder sie
machen daraus eine „dynamische Verbindung". Daher das
Axiom: ,,Der Werth des Gehirns entspricht dem Werth
der Seele. Kein Gehirn mehr, keine Seele mehr, dies ist
das Nichts".*)
Bei einer solchen Methode kann es nicht anders kommen,
als dass die fundamentalen Phänomene des organischen
Lebens den Gelehrten entgehen. Sie wissen also gerade
die Hauptsache von dem nicht, was sie wissen müssten, um
nicht bloss den Menschen, sondern die Lebewesen im allgemeinen
zu würdigen und richtig zu klassifizieren. Ge-
*) Die materialistischen Gelehrten haben soeben eine für sie tinangenehme
Ueberrascbang erfahren, indem sie sich überzeugten, dass das Gehirn
jener unsauberen Bestie in Menschengestalt Namens Vacher, der Ii scheuss-
liche Morde (und unter welchen Umständen!) begangen hat, ein überlegenes
Gehirn ohne jede Spur von Verletzung war, welche die stupide Bestialität
des Besitzers etwa hätte entschuldigen können. Der in diesen Dingen so
kompetente Dr. Lahor de hat dieses Gehirn des berüchtigten Stromers laut
Protokoll der Academie de m£decine mit dem von Gambetta verglichen!
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