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312 Psycbisolie Studien. XXVII. Jahrg. 5. Heft. (Mai 1900.)
persönlich auch die am besten gelungenen Identitätsbeweise
sind, das heisst die sogenannten „Beweise« für die Identität
des angeblichen „Geistes11 mit einer verstorbenen Person.
Grösstenteils lassen sie sich überhaupt nicht durch den
Druck veröffentlichen, weil sie zu tief in die Privatverhältnisse
noch Lebender eingreifen; und soweit sie publieirt
werden können, entbehren sie der zwingenden Beweiskraft
für die Nichtbetheiligten. Das aber ist ein Umstand, der
mit den berechtigten Ansprüchen der Wissenschaft nicht
vereinigt werden kann. Wissenschaft erstrebt durch-
weg A11 gemeingiltigkeit. Die Summe der bis jetzt
wissenschaftlich bekannten Thatsachen mag noch so unvollkommen
und ergänzungbedürftig sein, unsere wissenschaftlichen
Vorstellungen mögen noch so einseitig und verkehrt
sein, sicher ist, dass alles, was in der Wissenschaft aufgenommen
werden soll, den Charakter der Allgemeingiltig-
keit tragen muss. Das nur für Einzelne Beweiskräftige
und Werthvolle hat keine wissenschaftliche
Bedeutung. So will ich gern zugeben,
/ das einsichtsvolle Männer aus bestimmten Erfahrungen die
persönliche Ueberzeugung vom Walten extramundaner,
einst irdischer Wesen gewinnen konnten, aber ich vermag
nicht einzusehen, was die Wissenschaft damit anfangen
soll. Die geschilderten Erscheinungen sind sprunghaft
und launenhaft; sie entstehen nur an sehr wenigen
Individuen, und ihre Bedeutsamkeit erstreckt sich lediglich
auf das persönliche Einzelleben mit allen seinen Intimitäten
* Alle drei Eigenthümlichkeiten und besonders die
letzte scheinen diese Vorkommnisse auf den (nicht eben
kleinen) Umkreis von Thatsachen zu beschränken, die
gänzlich in der Subjektivität begründet sind und ausserhalb
der wissenschaftlichen Objektivität und Sachlichkeit
verharren.
Wenn die Subjektivität in der Natur der beschriebenen,
für einen exakten Unsterblichkeitsbeweis herangezogenen
Thatsachen liegen sollte, dann werden sie, wie mir scheint,
für immer dem allgemeingiltigen Beweis und damit der
Wissenschaft unzugänglich bleiben. Doch lassen sich Möglichkeiten
einer objektiven Feststellung sehr wohl denken.
Nehmen wir an: A. habe sich vor zehn absolut vertrauens-
werthen Personen versiegelte und mit dem Poststempel
versehene Couverts schicken lassen, in denen ein mit ein
?aar sehr charakteristischen Worten beschriebenes Stück
apier enthalten ist. Jene Personen haben sich ehrenwörtlich
verpflichtet, Niemand den Inhalt ihrer voneinander
unabhängigen Schreiben mitzutheilen; die Schreiben selbst
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