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Traum oder Hypnose?
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die beiden Mädchen im weichen Moose zur Mittagsruhe,
Ich versprach ihnen noch, sie herbeizurufen, sobald sich
Funde zeigen würden, und begab mich zu den Leuten, die
inzwischen die Arbeit wieder aufgenommen. Da plötzlich
bückte sich einer derselben, griff in die Erde und reichte
mir dann einen schönen Bronce-Armring, sowie einen daneben
gelegenen, eigenthümlich geformten hellen Stein in
der Grösse einer starken Wallnuss. Begierig die Damen
zu holen, lief ich zum Lager, zeigte ihnen den Ring und
bemühte mich, sofort den Stein von dem ihm anhaftenden
Lehme zu reinigen, um mich von dessen Bedeutung zu
überzeugen. Es gelang dies nur unvollständig, und erst
mit Zuhilfenahme von etwas Wein konnte ich ihn abspülen,
worauf er sich als ein roh geschliffener, durchsichtiger Berg-
krystall auswies. Erfreut ob des Fundes, zeigte ich ihn
meiner Tochter, die ihn darauf Fräulein N. in die Hand
gab. Sie lag, wie gesagt, auf dem Moose, mit dem Rücken
an einen Baum angelehnt, und nachdem sie den Stein betrachtet
, hielt sie ihn gegen die Sonne, uns auf die herrliche
Farbenbrechung aufmerksam machend. Doch plötzlich verstummte
sie, ihre Hand fiel schwer in den Schooss, der
Stein zur Erde, während das Auge einen eigenthümlich
düsteren und starren Ausdruck annahm. Meine Tochter
meinte scherzend: „Sieh, die grosse Hitze hat dem armen
Fräulein zugesetzt, sie scheint mit halb offenen Augen eingeschlafen
zu sein!a, und da sie hierauf gar nichts erwiderte,
bemerkte ich: „Nun dann träumt sie gewiss von den alten
Kelten und könnte uns vielleicht Aufschluss über deren
Geschichte geben !a In muthwilliger Laune legte ich den
Broncering auf ihre Hand und frug: „Wem gehörte einst
dieser Ring?", worauf sie deutlich, doch leise erwiderte:
„Der Frau des Heeremannes, an deren Grab wir eben
weilen." Hierdurch angeregt, frug ich weiter: „Wer war
Heeremann und wie starb die Frau?" „Sie erstach sich
über der Leiche ihres Mannes, des Heeremannes über eine
grosse Völkerschaft, die hier und in der Umgegend hauste
und der bis hinab zum Flusse die Wälder und Auen
gehörten !"
Das Fräulein hatte bisher ziemlich ruhig gesessen, aber
plötzlich richtete sie den Oberkörper mehr auf, ihr Auge
verlor von seiner Starrheit und bekam dafür einen müden,
traurigen Ausdruck, und den einen Arm nach den Gräbern
ausstreckend, fuhr sie in leise flüsterndem Tone fort: „Wie
glücklich war das Volk, wie treu ergeben seinem Fürsten,
wie friedlich lebten sie in diesen Wäldern von der Jagd
und ihren Herden, die bis hinab zum Flusse weideten."
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