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342 Psychische Studien. XXVII. Jahrg. 6. Heft. (Juni 1900.)
Gesellwister dieses Mal in Sisterbeck weilten, bemerkte ich
an ihnen nichts Besonderes; es ist übrigens wahr, dass ich
wenig mit ihnen zusammenkam, da ich die schönen Tage
zu Ausflügen benutzte. Dass die Schwester damals dennoch
in ihrem Innern ein Besonderes barg, sollte ich später
hören. Was ihren Mann betraf, so wurde ich auf diese
Zeit zufälligerweise sein Stubenkamerad; denn aus Mangel
an Platz wurden auch in einem im Garten gelegenen Badehäuschen
zwei Betten aufgemacht und uns beiden angewiesen
. Wie sonst, machte er auch in diesen Tagen
Jagdparthieen in der Umgegend und wir sahen uns fast
nur vor dem Schlafengehen und beim Aufstehen, wobei
wir höchstens einige kurze Worte wechselten und überhaupt
Alles wie gewöhnlich aussah. Destomehr erstaunte ich,
als er am Morgen vor seiner Abreise nach der Residenz
sich in einer bisher sonst unerhörten Weise gegen mich
benahm. Er begann ein freundliches Gespräch mit mir,
er befragte mich über meine Pläne und Aussichten, wünschte
mir zu Allem Glück, wobei seine Stimme weich und herzlich
wurde, und verabschiedete sich schliesslich in einer
Art, als wenn ihm eine längere Trennung bevorstände.
Selbst dadurch erweicht, aber verwundert, schaute ich ihm
nach und fragte mich: „Was mag er nur haben?" „Von
wo kam das?"
Die Antwort liess nicht lange auf sich warten: kaum
waren 3—4 Tage verstrichen, so ereilte uns die Schreckenspost
, Ludwig und Batorski seien auf der Newa umgekommen.
Da das Wetter anhaltend schön gewesen war, hatten die
Petersburger Verwandten eines Nachmittags einen Ausflug
nach den näher der Mündung des Flusses gelegenen Inseln
gemacht und waren nach Sonnenuntergang, aber bei hellem
nordischen Dämmerungslichte auf dem Rückweg begriffen,
wobei ein Theil der Gesellschaft zu Wagen, längs dem
Quai, zurückkehrte, der andere aber die Fahrt in einem
Ruderboot wählte. Zu letzteren gehörten Ludwig, Batorski,
mein vorletzter Bruder Oskar &, damals angehender Sappeur-
offizier, und Hausmann, der sich gerade geschäftshalber in
Petersburg aufhielt. Ungestört war das Boot bis in die
Gegend des Sommergartens gekommen, da aber kehrte
plötzlich ein kleiner, in der Nähe vorbeigleitender Flussdampfer
sein Vorderende gerade dem Boote zu und im Nu
war ein Unglück geschehen. Ludwig und Batorski, die am
Nächsten sassen, empfingen einen tödthehen Stoss und gingen
sofort unter, Oskar und Hausmann, die sich am anderen
Ende des Bootes befanden, fielen oder sprangen ins Wasser
und wurden bald gerettet. Als es darauf zur Untersuchung
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