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v. Seeland: Ein mehrfacher Fall von Vorgefühl. 343
des Unglücksfalles kam, erwies sieh, dass der Steuermann
des Dampfers betrunken gewesen war! —
Als wir Sisterbeeker nun nach Petersburg kamen und
die trauernden Hinterlassen en besuchten, da hörten wir aus
Schwester Linas Munde Folgendes: Während des letzten
halben Jahres hatte ihr Mann mehrere Male Anflüge von
Traurigkeit gehabt und dabei von der Möglichkeit seines
baldigen Endes gesprochen. Solche traurige Tage, desgleichen
jene Aeusserungen waren bei ihm etwas ganz
Ungewöhnliches und hätten daher Argwohn erregen können;
doch da er in der Zwischenzeit wieder ganz der Alte war,
so hielt die Frau seine Worte einfach für Grillen, zumal
ihm nichts zugestossen war, er im kräftigsten Mannesalter
stand, nie kränkelte und auch sonst keinerlei Gefahr im
Anzug schien. Ganz unerwartet jedoch stellte sich bei ihr
selbst in den letzten 3—4 Wochen vor dem Ereigniss eine
Erscheinung ein, die sie nicht wenig erschreckte, obgleich
sie Niemand davon etwas sagte: zu wiederholten Malen
hatte sie einen und denselben bösen Traum. Es stellte
sich ihr nämlich ein grinsender Fackelträger im Beerdigungsanzug
in den Weg, Wenn ich nicht irre, so erzählte sie,
sie hätte dies Schreckbild fast jede Nacht gesehen; der
Sinn ihrer Erzählung war jedenfalls der, dass sie es nicht
habe los werden können; somit muss sich dieser
Traum innerhalb weniger Wochen wohl recht oft wiederholt
haben, und zwar bei einem Menschen, der sich sonst
stets eines ruhigen Schlafes erfreute, auch nie von Ahnungen,
Hallucinationen, Visionen u. dgl. heimgesucht wurde. Von
Bruder Ludwig endlich wurde Folgendes berichtet: Bis zum
letzten Tage war an ihm nichts Besonderes zu bemerken,
an diesem aber verrieth der Gute, ganz gegen seine sonstige
Art, auffallende Verstimmung und Unruhe; kurz vor der
Abfahrt nach den Inseln setzte er sich an's Klavier und
spielte ein Stück, welches den Titel „Adieu" führte; ferner
hatte er sich vor der Rückfahrt bald in's Boot, bald in
den Wagen gesetzt, bis er sich endlich für ersteres
entschied. —
Alles zusammengenommen, wird man wohl zugeben
müssen, dass es sich in diesem Falle um ein deutliches
Vorgefühl handelte, welches sich jedoch nicht andauernd,
sondern sozusagen stossweise zeigte, dafür aber seinen Anlauf
frühe begann. — Wie steht es nun mit der Erklärung?
Wie könnte man hier z. B. von einem telepathischen Kausalnexus
zwischen den schreckenden Ahnungen der betreffenden
Personen und dem Hirne eines sich Monate später
betrinken sollenden; durchaus unbekannten Steuermanns
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