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348 Psychische Studie». XXVII. Jahrg. 6. Heft (Juni 1900.)
Der erste Fall betraf ein im automatischen Schreiben
begriffenes Medium, welchem Herr Dr. Schurtz der Probe
halber, als es ganz intensiv in seine Thätigkeit versenkt
schien, plötzlich den Bleistift aus der schreibenden rechten
Hand zog und in die, bislang auf dem Tisch ruhende, linke
Hand steckte. Das Medium schrieb darauf mit eben dieser
linken Hand weiter, aber — in Spiegelschrift.
Der zweite Fall bezog sich auf ein bedeutendes Privat-
Medium, einen hochgestellten Beamten, von welchem Herr
Dr. Schurtz zwar unter relativ guter Controlle, jedoch nicht
unter eigentlichen Testbedingungen ein Blatt mit direkter
Schrift erhielt. Das Blatt war mit Russ bedeckt und die
Schrift eingekritzelt. Der Inhalt war viersprachig. Zwei
Sprachen: hebräisch (Sprüche aus dem alten Testament)
und arabisch (Suren aus dem Koran) waren dem Medium
unbedingt unbekannt. Ausserdem befand sich ein Satz in
Spiegelschrift auf dem geschwärzten Blatte.
Dieser zweite Fall lässt sich wegen dei dunkeln Herkunft
des Papiers für die Lösung unseres Problems nicht
verwerthen; wohl aber der erste, der zusammengehalten mit
der von Dr. Marinesco gemachten Beobachtung, dass
Spiegelschrift bei gewissen rechtshändigen Personen eintritt,
wenn man diese mit der linken Hand schreiben lässt, uns
werthvolle [Fingerzeige bietet. —
Der Offenbarungsspiritismus, welcher in den automatischen
Niederschriften seiner Medien untrügliche Geisterkundgebungen
erblickt, hat wegen der gelegentlich bei
solchen vorkommenden Spiegelschrift natürlich zu dieser
Frage auch Stellung genommen, die Spiegelschrift als media-
nimes Phänomen für sich reklamirt und ist, wie ich wohl
annehmen darf, zu folgender Ansicht gelangt: „Die Spiegelschrift
entspricht der Anschauungsweise eines Jenseitigen/4
Dies klingt ganz einfach, ist aber durchaus abgeschmackt.
Die Vorstellung eines die Hand des im Trance befindlichen,
automatisch schreibenden Mediums lenkenden Oontrolspirits,
der dabei einen Eindruck der Schrift, wie er einem hinterwärts
der Schreibfläche Stehenden entspricht, hervorruft, ist
doch geradezu eine Bizarrerie zu Pferde.
Wollten wir selbst für ein ausserhalb unserer menschlich
-irdischen dreidimensionalen Welt stehendes geistiges
Wesen die Möglichkeit zulassen; in diese einzugreifen, so
wäre diese Einwirkung unbedingt an das für dieselbe zugängliche
Medium geknüpft.*) In ihm also die Vorstellung
*) Auf die Spiegelschrift als „Spukerscheinung" dürften doch auch
wohl die entschiedensten Offenbarungsspiritisten nicht kommen!
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