Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene, Bibliothek, Frei122-Z5
Aksakov, Aleksandr N. [Begr.]
Psychische Studien: monatliche Zeitschrift vorzüglich der Untersuchung der wenig gekannten Phänomene des Seelenlebens
27. Jahrgang.1900
Seite: 353
(PDF, 212 MB)
Bibliographische Information
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Parapsychologie und Grenzgebiete der Psychologie

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W. Bohn: Ein Fall von doppeltem Bewusstsein. 353

die Sensibilität normal, im zweiten Bewusstseinszustande litt
sie an Anästhesien und Hyperästhesien einzelner Körper-
theile. Gesichtsausdruek, Bewegung, Schrift und Sprache
war eine durchaus veränderte, demgemäss also auch die
motorische Innervation. —

Es ist hier der geeignete Ort, um die für unsere Auffassung
so wichtige, von mehreren französischen Forschern
durch viele Jahre beobachtete und in vielen Untersuchungen
wissenschaftlich geklärteste Krankengeschichte kurz darzustellen
, die im Asyl zu Bonneval ihren Anfang nahm,
Jahre lang die französischen Irrenhäuser beschäftigte und
eine gewisse Berühmtheit erlangt hat.

Camuset hat den Kranken, um den es sich handelt, zuerst
gesehen, und im Jahre 1882 über ihn referirt. V—,
der Sohn einer Prostituirten, von klein auf zum Betteln
und Stehlen erzogen, kam wegen hysterischer Anfälle im
Jahre 1880 aus dem Gefängniss von St. Urban nach dem
Asyl zu Bonneval mit einer totalen Paralyse beider Beine
und Incontinentia urinae et alvi — die sich übrigens bald
besserte — mit scheinbar intacter Intelligenz. Es ist ein
17jähriger Mensch, von mildem und angenehmem Charakter,
mit starker Atrophie der Musculatur der unteren Extremitäten
. Dieser Zustand ist jedoch sein „second etat", und
nach einem schweren hysteroepileptischen Anfalle aufgetreten
. Ueber seine Vorgeschichte und seine früheren
Diebstähle ist er vollkommen orientirt und bereut dieselben.
Den ersten Anfall bekam er, als er vor einer Schlange erschrak
. Es traten bald Wiederholungen des Anfalls auf,
und dabei machte sich eine Schwäche der Beine bemerkbar
, die zu einer vollkommenen Paralyse und Gebrauchsunfähigkeit
führten. In Bonneval, wo man mit seinem
Betragen sehr zufrieden war, bekommt er plötzlich einen
Anfall mit allen Symptomen der Charcot'schen grossen
Hysterie. Wieder erwacht, erhebt er sich, verlangt seine
Kleider, zieht sich an und geht durch den Saal. Die
atrophischen Beine vermögen seinen Körper kaum zu
tragen, aber die Paraplegie ist vorüber. Er verlangt, man
solle ihn mit seinen Mitgefangenen wieder in den Garten
zur Arbeit gehen lassen; denn er glaubt noch in St. Urban
zu sein. Die Erinnerung an die ganze Zeit zu Bonneval,
überhaupt an alles, was sich nach jenem Erschrecken vor
der Schlange begeben hat, ist völlig ausgelöscht. Was er
in Bonneval gelernt, das Schneiderhandwerk usw., ist ihm
wieder gänzlich unbekannt. Sein Charakter ist roh, unfreundlich
und frech. Von seiner Lähmung weiss er nichts
mehr. Der Gedächtnissdefect umfasst ein ganzes Jahr.


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