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Bouvßry-Maier: Zum internationalen Psychologenkongress. 371
legenheit euch entgehen lassen? Wohlan, wohlan, hoch die
Herzen! Auf ihr Säer des Samens einer besseren Zukunft,
ans Werk! Die Stunde der Ernte ist da!
J. Bouvery (4 rue de Mulhouse, Paris).
Weiteres zur Psychologie in der Christenthumsfrage.
Von Hofrath HI. Seiling* (München-Pasing).
Bei der mir nicht ganz zusagenden Art, wie Herr
Pfarrer Gubdlke polemisirt, macht mir die Fortsetzung der
Polemik kein sonderliches Vergnügen. Zu den nachstehenden
weiteren Aeusserungen bin ich jedoch von Herrn G.f wenigstens
theilweise, förmlich verpflichtet worden.
Herr G. behauptet irrthümlicher Weise, dass ich aus
dem Zusammenhang gerissen haben müsse, wenn ich sage,
dass Luther die Jungfräulichkeit als ein schändliches Werk
gebrandmarkt hat. Ob Luther den Ausdruck „schändliches
Werk", der nicht von mir apostrophirt wurde,*)
gebraucht hat, weiss ich nicht; die Sache ist vielmehr so
zu verstehen: nach dem, was Luther über die Keuschheit
geäussert hat, glaube ich zusammenfassend mich so ausdrücken
zu können, wie ich es gethan habe. Dass ich mich
gerade dieser Redewendung bediente, ist auf eine Bemerkung
Dr. J. Müller's, eines mir durchaus vertrauenswürdig erscheinenden
Gelehrten, zurückzuführen, der in seinem Buche
„Keusehheitsideentf (Mainz 1897) S. 67 bei der Besprechung
von Luther^ Stellung zum Geschlechtsverhältniss sagt: „Die
Jungfräulichkeit, die selbst den Heiden ehrwürdig war, wird
von Luther fast als das schändlichste Werk gebrandmarkt."
Zur abgeschwächten Wiedergabe dieser Bemerkung glaubte
ich mich um so eher berechtigt, als mir selbst bekannt ist,
dass Luther in den Tischreden — und zwar in keinem
besonderen Zusammenhang — die Keuschheit „den Gräuel
aller Gräuel" nennt, und als ich in meinen Notizen einen
Ausspruch von Staphylus („Nachdruck zur Verfechtung u. s. w.a,
Ingolstadt 1562) fand, der also lautet: „Wie schändlich und
lästerlich der Luther von der Jungfrauschaft gelehrt habe,
wird männiglich hin und her in seinen Büchern gelesen
haben, sonderlich im Buche von den Klostergelübden, in
welchem er düir heraus sagt, dass sich ein Mensch so wenig
enthalten könne, als den Speichel nicht ausspucken und
dergleichen unzüchtige bordellische Reden daneben/'
*) Der Ausdruck wurde als betontes Citat aus der Replik (nicht aus
Lulherl) durch die Redaktion (nicht durch Herrn G.) auf Seite 226 in Anführungszeichen
gesetzt. — Red,
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