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374 PsyohiBohe Studien. XXVII. Jahrg. 6. Heft. (Juni 1900.)
umhin können, Schopenhauer Recht zu geben, der sagte,
dass der Katholicismus ein schmählich missbrauchtes, der
Protestantismus aber ein entartetes Christenthum sei. Warum
soll ich denn nun gerade nur auf die „Entarteten" hören?
Diese Zumuthung muss ich entschieden zurückweisen. Das
Wort vom „sittlichen Makel", mit dem die Handlungsweise
Luther'* nach katholischer Auffassung behaftet ist, ist übrigens,
wie ich nebenbei noch einmal hervorheben möchte, vom
Protestanten Dr. Kuhlenbeck, der zwar kein Oberkonsistorial-
rath, aber ein wohlunterrichteter (auch okkultistischer)
Gelehrter von sehr strengen Grundsätzen ist, gutgeheissen.
Beim asketischen, dem Urchristentbum verwandten Geiste
des Katholicismus dürfte ich denn auch kaum Anstoss
erregen, wenn ich behaupte, dass die Ehelosigkeit für den
wahren Christen eine selbstverständliche Sache sei.
Was mein „vollständiges Verkennen" des Genius Luther
betrifft, so muss ich Hern G. leider noch die weitere Enttäuschung
bereiten, dass ich in Luther keineswegs den grössten
Sohn des deutschen Volkes erblicke, dass ich vielmehr sogar
dem zustimme, was Nietzsche („Pröhl. Wissenschaft" und
„Genealogie der Moral") über die That und die Bedeutung
Luther's gesagt hat. Ueber Nietzsche aber mag man denken,
wie man will, — dass er ein feiner Psychologe war, wird
man ihm lassen müssen.
Schliesslich möchte ich meinerseits meine Verwunderung
darüber aussprechen, dass über die Sittlichkeit nur die
Handlungsweise des Menschen entscheiden soll. Dies schmeckt
wenigstens gar nicht nach Luther, bei dem die Gesinnung
alles und die Werke gar nichts galten.*)
Offene Frage,
Von Max Gubalke, Pfarrer a. D., Berlik.
Wie ist der Selbstmord vom Standpunkte einer
monistischen Erklärung des Menschen, d. h. also vom
Standpunkte der Transscendentalpsychologie zu verstehen?
— Antwort erbitte ich mir in erster Linie von der Gesellschaft
für wissenschaftliche Psychologie in München, weil
*) Nachdem nun beide Gegner zwei Mal in den „Psych. Stud." ausführlich
zum Wort gelangt sind, müssen wir diese Polemik für geachlossen
erklären. Herr Pfarrer (luhalke erklärt sich hiermit einverstanden, indem
er noch bemerkt : In dem Schlusssatze Aprillieft S. 228 habe ich schon im-
plicite meine Polemik in den Psych. Studien für abgeschlossen erklärt. Die
Kenntnissnahme obigen Aufsatzes lässt mich auch von dem mir zukommenden
Schlussworte abstehen. Max Gubalke.
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