http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1900/0385
378 Psychische Studien. XXVII. Jahrg. 6. Heft (Jnni 1900.)
sehen*) Erklärung (durch somnambule Grlossolalie), wie sie
Flournoy versucht, begreifen. Noch weit schwieriger so zu erklären
dürfte aber der Fall des Gemeindeanwalts Chaumontet
und des Pfarrers Burnier sein, welche der „natürlichen" Deutung
eine harte Nuss zu knacken geben. Damit verhält es sich
folgendermassen: In einer Sitzung, die im Monat Februar
1899 stattfand, schrieb Fräulein Smith in somnambulem
Zustand, nachdem sie die Vision eines auf einer mit Weinreben
bepflanzten Anhöhe gelegenen Dorfes gehabt hatte,
von wo ein alter Mann herabstieg, der halb als „Herr", halb
als Bauer nach der Mode von 1830 gekleidet war, in
unbekannter Schrift die folgenden Worte: »Chaumontet
syndic a. 1839." Der Wunsch der Theilnehmer, den Namen
des Dorfes zu erfahren, bewirkte, dass das Mediuni schliesslich
einen Wegweiser bemerkte, auf dem sie abbuchstabirte:
Chessenaz. In einer folgenden Sitzung wiederholte sich
diese Vision; diesmal ist es aber nicht mehr der alte Herr,
welcher erscheint, sondern ein Pfarrer (Curi)9 der sich nach
verschiedenen Zwischenfällen der Hand des Fräuleins
bemächtigt und ganz langsam (in automatischer Schrift) die
Worte hinzeichnet: „Bumier, salut" (Etwa: „Ich bin Burnier,
GtüS8 Gott!a) Beim Nachsuchen auf der Landkarte fand
man ein kleines Dorf, das dem Namen von Chessenaz entsprach
und 26 Kilometer Luftlinie von Genf entfernt im
„Departement de la Haute-Savoie" liegt. Prof. Flournoy
schrieb nun an den jetzigen Ortsvorstand (Maire) von
Chessenaz, um von ihm einige Aufschlüsse zu erhalten. Er
erhielt die Antwort, dass in der That während der Jahre
1838 und 1839 der Gemeindeanwalt (Syndic) von Chessenaz
Jean Chaumontet hiess und dass von 1824—1841 Andrd Burnier
Ortspfarrer daselbst war. Der jetzige Schultheiss (Maire)
hatte sogar die Liebenswürdigkeit, seiner Antwort ein dem
dortigen Rathhausarchiv entnommenes Dokument aus jener
Zeit beizufügen, auf welchem sich die Unterschriften des
Syndic Chaumontet und des Cur6 Burnier zusammenfanden.
*) „Animistisch" im weiteren Sinne, nach der neuerdings immer mehr
aufkommenden Zweitheilung, wonach alle nicht auf entkorpertc
Geister zurückzuführende Phänomene unter die animistische Erklärungshypothese
fallen würden. Richtiger, weil schärfer, ist wohl aber die von Ahsako/r
begründete Dreitheilung, welcher bekanntlich die okkulten Erscheinungen
in solche des Personismus, die er dem mehr oder weniger
unbewussten Wirken der Seele des Mediums zuschreibt, in solche des Amin
i s m u s , wobei die Seelenkräfte anderer lebender Menschen (z. B. der
Zirkeltheilnehmer; mitwirken, und in solche des Spiritismus scheidet,
welcher die Bethätigung von der sinnlich-irdischen Welt fremden Intelligenzen
, (speziell verstorbener Menschen) voraussetzt. Danach würde die von
Prof. Flournoy versuchte Deutung als „personistisch" zu bezeichnen sein. —
Red.
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1900/0385