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Das Voraussehen im Traum.
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nicht geringer als in dem ersten Falle, üass sie dieses
Mal auf die Stube gebracht ist, verringert allerdings die
Wahrscheinlichkeit; aber es ist wohl anzunehmen, dass er
sie an dem Orte und in der Lage im Traum gesehen hat,
wohin und wie er sie sonst gewöhnlich selbst gestellt hat.
Doch sehen wir davon ab und versuchen wir die Wahrscheinlichkeit
zu berechnen. Nehmen wir wiederum die Wahrscheinlichkeit
für den allgemeinen Fall, dass die Kiste an
dem Tage wirklich eintrifft, an dem er das Eintreffen geträumt
hat — 1 Milliontel; die Wahrscheinlichkeit, dass die
Kiste ihm gebracht würde, wird dann im allgemeinen */2
sein, denn entweder musste sie abgeholt oder gebracht
werden; in diesem besonderen Falle, wo er sie sonst abgeholt
hat, wollen wir sie nur ^ rechnen. Dass in diesem
Falle die Kiste nicht offen in die Stube, sondern an einen
Ort gestellt wurde, wo sie nicht hindert, ist sehr vernünftig,
und wahrscheinlich war der Platz unter dem Tisch der
einzige Kaum in der Pennälerbude, der sich dazu eignete.
Wir wollen diese Wahrscheinlichkeit an sich — 1j2 setzen;
unter dem Tische konnte die Kiste im allgemeinen mit
jeder der 4 Seiten nach vorn gestellt werden; dass also das
Schlussende nach vorn gestellt wurde, hatte die Wahrscheinlichkeit
1/4, allein da diese Stellung die vernünftigste
war, wollen wir sie = 1/2 rechnen. Alsdann ist die Wahr-
\
scheinlichkeit = . ,MWWww.—ttt—n—?r gleich 1 Vierzig-
lÜÜÜDOOx 10x2x2 ö °
milliontel. Und das wäre doch auch noch eine menschliche
Wahrscheinlichkeit. Erweitert man aber die Bedingungen
dieser Sehnsuchtsträume und zieht nur das ganz bestimmte
Verlangen einer Ehefrau nach ihrem Gatten und eines
jungen Mannes nach seiner Proviantkiste in Betracht,
dehnt sie aber auf alle persönlichen und sachlichen Beziehungen
des Lebens aus, so wird die Wahrscheinlichkeit
viel grösser, dass das geträumte und das wirkliche Eintreffen
des Gegenstandes der Sehnsucht zusammenfällt; und setzt
man alle möglichen lüteressen der menschlichen Seele mit
in Rechnung, so wird es im gewöhnlichen Sinne des Wortes
wahrscheinlich, dass hin und wieder Traum und
Wirklichkeit übereinstimmen. Es würde vielmehr
das wunderbar sein, wenn nie ein Traum verwirklicht
würde. Die verwirklichten Träume sind keine
Vision.*) Sie sind aber auch kein Zufall. Denn
der Zufall ist ein Zuzammentreffen der von einander un-
*) Ausnahmefälle bedeutsamer (prophetischer) Träume können
doch wohl als thatsächlich konstatirt angenommen werdenI — Red.
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