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380 Psychische Studien. XXVII. Jahrg. 6. Heft. (Juni 1900.)
Breitung-Goburg folgenden Beitrag zur Frage der Suggestions-
Wirkung mit: Es handelte sich um die erste Vorstellung
der „Jungfrau von Orleans" in Meiningen. Wie immer an
solchen grossen Tagen, waren viele auswärtige Gäste versammelt
. Ben Lionel spielte ein bis dahin noch unbekannter
junger Künstler, Herr Barthel, der geradezu fascinirend
wirkte. Die Vorstellung nahm einen glänzenden Verlauf.
Nach Schluss des vierten Aktes erschien plötzlich ein Lakai
des Herzogs bei Dr. Breitung und bat ihn, doch einmal
nach Barthel zu sehen, der stockheiser geworden sei. Der
Arzt ging in die Garderobe des Künstlers und fand ihn
zur Fortsetzung des Spiels so geeignet, wie eine Mumie des
Königs Nebukadnezar. Hier war nun guter Rath theuer.
Da keine Anhaltspunkte für die Annahme einer belangreichen
materiellen Läsion vorlagen, glaubte Dr. Breitung
die plötzlich aufgetretene Stimmlosigkeit auf psychisches Gebiet
verlegen zu sollen und entschloss sich, da keine Zeit
zu verlieren war, als eine Art Svengali die Zauberkünste
der Suggestion spielen zu lassen. In grösster Ruhe erklärte
er, der Zwischenfall sei belanglos; man möge die Pause
etwas verlängern. Barthel Hess er in eine wollene Decke
wickeln und Hess ihn schnell eine halbe Flasche Sekt trinken.
Dann ging er fort mit der Erklärung: „So! Wenn es so
weit ist, machen Sie sich fertig. Es geht! Ich übernehme
die Verantwortung! Auf Wiedersehen!" Der Arzt hörte
mit nicht geringem Herzklopfen nach einer Viertelstunde
das Klingelzeichen. Barthel erschien — und spielte wundervoll
bis zum Ende. Niemand im Theater, ausser dem Herzog,
Chronegk, dem Arzt und dem Schauspieler, hatte eine Ahnung,
was sich hinter den Coulissen zwischen dem vierten und
fünften Akte dieser denkwürdigen Vorstellung abgespielt
hatte.
d) Was wir träumen. Im letzten Hefte von „Long*
man's Magazine" spricht H. G. Hutchinson mit Recht seine
Verwunderung darüber aus, dass die vielen Gelehrten,
welche die Träume behandeln, sie nicht nach ihrem Inhalt
ordnen und betrachten. Wir träumen zwar alles Mögliche
und Unmögliche, aber es ist doch merkwürdig, dass gewisse
Träume bei uns und bei Anderen immer wiederkehren.
Ein solcher Traum ist das Fliegenkönnen: man kommt
aus dem Laufen ins Schweben und Fliegen und geniesst
stolz diesen Vorzug vor andern Menschen. Ein anderer
typischer Traum ist, dass wir uns im Hemde oder in
sonst mangelhafter Bekleidung vor den Leuten zeigen
müssen; niemals aber träumen wir, dass wir ganz nackend
sind. Hutchinson giebt noch fünf allgemeine Inhalte an:
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