http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1900/0425
422 Psychische Studien. XXVII. Jahrg. 7. Heft. (Juli 1900.)
wir wieder zusammen aus" u. s. w. Sie weint: „Ach, ist das
Leben schwer!" Sie erwacht und sagt: Jetzt habe ich von
meinem Vater geträumt. Aber er ist mir böse erschienen.
Er hat mir gedroht. Das war in der letzten Zeit seiner
Krankheit, da hat er immer so getobt. Weil die Frau (im
Nebenbette desselben Krankensaales) heute so getobt hat,
habe ich mir meinen Vater so vorgestellt, und im Schlafe
ist er mir erschienen.
29. XI. Kommt nach dem festen Einzelzimmer.
4. XII. In einem Briefe an die Mutter schreibt sie: „Die
Besserung in meinem Befinden hat leider nicht angehalten.
Herr Dr. B. hatte mir gestern erlaubt, aufzustehen. Ich bekam
aber vorher einen Ohnmachtsanfall und schreibe Dir
auch deshalb wieder im Bette. Herr Dr. B. ist die Freundlichkeit
und Güte in Person, dasselbe von Schwester A.f die
mir auch als ein Engel der Barmherzigkeit erscheint." Ausser
der Sehnsucht nach ihren Angehörigen — sie empfindet jetzt
lebhafte Freude in dem Gedanken, dass die Mutter sie viel-
*_
leicht besuchen werde — trägt ihr Brief eine gewisse Gleich-
giltigkeit gegen die äusseren Verhältnisse zur Schau. Wegen
ihres Conflictes mit der Staatsanwaltschaft und ihrer Zukunft
macht sie sich, wie es scheint, wenig Sorge: „sie denkt nicht
daran" — „Du sagtest doch, es wäre alles gut — da vergingen
mir die Gedanken."
6. XII. Hysterisches Delirium. Die Situation wird verkannt
, sie glaubt sich im Gefängniss. Das Delirium dauert
zwei Stunden lang. Hemianaesthesie für Berührungsempfindungen
, das Gehör herabgesetzt.
10. XII. Hysterischer Anfall mit Zähneknirschen, leichte
Zuckungen der linken unteren Extremität. Die Reflexe sind
erhalten. Nach dem Anfalle vollständige Amnesie. Im rechten
Gesichtsfelde der Patientin ist regelmässig eine concentrische
Einengung zu constatiren, die nach einiger Anstrengung
noch zunimmt.
11. XII. Die Patientin leidet viel an Kopfschmerzen, sie
trinkt jetzt täglich 3 Liter Milch, Appetit ziemlich gut, Stuhl
regelmässig. Abends hat sie einen Anfall von einstündiger
Dauer mit Zähneknirschen und Zuckungen im linken Beine.
Augen nach oben verdreht. Nach Einnahme von 1 g Phenacetin
wird sie ruhiger.
12. XII. Patientin wird heute in der klinischen Vorlesung
mit der Diagnose: Sejunction von Vorstellungsreihen,
Doppelbewusstsein, durch Herrn Medicinal-Rath, Professor
Dr. Wernicke vorgestellt. Darauf bekommt sie ein hysterisches
Delirium. Sie spricht von einem todten Kinde, Studenten
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1900/0425