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424 Psychische Studien. XXVII. Jahrg. 7. Heft. (Juli t900.)
sehen. So bestärkt in ihren krankhaften Ideen wäre sie
wahrscheinlich bald körperlich und geistig verkommen! Wäre
sie, wie der Kranke zu Bonneval, in die Hände eines wissenschaftlichen
Hypnotiseurs gerathen, so hätte man vielleicht
allerlei merkwürdige Experimente mit ihr angestellt. Und
statt das Krankheitsbild unter einer liebevollen psychischen
Behandlung bei der behr suggestiblen Kranken abklingen zu
lassen, hätte man ihrem kranken Gehirn gewaltsam allerhand
noch fremde Ideen eingepflanzt, für welche in jenem Augenblicke
jeder Zusammenhang, jede Association mit den eigenen
Vorstellungen gefehlt hätte, ünd es wäre dann, um diesem
neuen Inhalte eine Erklärung, eine Berechtigung zu geben,
die Aufgabe für die kranke Psyche erwachsen, diese Verbindung
herzustellen, eine Aufgabe, die dem reconvalescenten
Gehirn damals nicht ohne grosse Bedenken zugemuthet
werden durfte. Oder man hätte den Hypnotismus weniger
curativ betrieben, sondern das Spiel wiederholt, das mit
dem Kranken von Bonneval getrieben worden war, verschiedene
Bewusstseinszustände experimentell wieder erzeugt
und wahrscheinlich ein ganz anderes Krankheitsbild gewonnen.
Dass aber in einem so schweren Falle der Hypnotismus
immer nur eine schwere Schädigung des Kranken birgt, eine
Art psychische Vivisection darstellt, das lehrt eine einfache
logische Betrachtung seiner Wirkungsart. In diesen Fehler
sind unsere Aerzte nicht verfallen. Die Kranke hat wirklich
allen Grund, denselben dankbar zu sein dafür, dass man
sie vor hypnotischen Experimenten bewahrte und dass die
Aerzte in sanfter erziehlicher Suggestion, nicht im experimentellen
Missbrauch, ihre Aufgabe fanden. —
Fassen wir nach dieser kleinen Abschweifung, die dem
Einwurf begegnen sollte, warum man die Kranke nicht durch
die hypnotische Suggestion „geheilt" habe, was doch jetzt
gang und gäbe sei, — die Symptome zusammen, welche
dieses specielle Beispiel eines hysterischen Zustandes kennzeichnen
, so finden wir dieselben wieder als solche, die uns
in anderen Verbindungen schon in früheren Krankenberichten
zerstreut entgegentraten: Es bestehen typische hysterische
Anfälle und hysterische Delirien. Die Willensenergie ist
hochgradig herabgesetzt, die Kranke vermag irgend welchen
auftretenden Ideen keinen Widerstand zu leisten. Depressive,
melancholische Stimmung und Neigung zum Alleinsein führt
zur pathologischen Träumerei und Unterbrechung der Persönlichkeit
, die schliesslich mit theilweiser Amnesie für das
Vorgefallene einem fast normalen Befinden Platz macht.
Das selbstständige Auftreten der den Tod ihres Vaters
betreffenden Vorstellungen und Erinnerungen führt zum
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