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426 Psychische Studien. XXVII. Jahrg. 7. Heft. (Juli 1900.)
geschätzten Mitarbeiters Franz Unger*) zu, mit dessen
trefflichen Ausführungen über das vielbesprochene Thema
wir unsere Leser zunächst näher bekannt zu machen gedenken.
Verfasser, dessen frühere (in demselben Verlag bereits
in 2. Auflage erschienene) Broschüre über „die Magie des
Traumes als Unsterblichkeitsbeweis" du Prel mit einem
klassischen Vorwort über „Okkultismus und Sozialismus"
selbst ausgezeichnet hat, geht darin von der Thatsache aus,
dass im Kampf um die Seele und um die Anerkennung
des Unsterblichkeitsgedankens der Traum von jeher eine
bedeutsame Rolle spielte. Nicht nur die grössten Dichter
und Mystiker kleideten häufig die Schöpfungen ihrer
Phantasie in die Form dramatisch bewegter Traumvorgänge,
sondern auch fast alle hervorragenden Philosophen vertieften
sich gern in sein Studium, und unter den letzteren ganz
besonders der geniale Friedrich Nietzsche. Auch ihm ist,
wie schon dem spanischen Dichter Calderon, das Leben
selbst nichts als ein kurzer Traum und der T od
das Erwachen aus demselben. Umgekehrt sind ihm
die Träume treue Spiegelbilder unseres wachen Tageslebens,
Reihen symbolischer Szenen, Bilderketten und Uebersetzungen
unserer Erwartungen, Hoffnungen und Verhältnisse in die
Sprache eines Dichters, der unsere tiefsten, ureigensten
Geheimnisse kennt. Dass sich im Traume eine Spaltung
der Persönlichkeit, bezw. des Persönlichkeitsgefühls
vollziehe, indem wir, wie dies besonders (>u Prel sehr anschaulich
und geistreich auseinandergesetzt hat, im Traume
Dichter und Schauspieler, Mitwirkende und Zuschauer zugleich
sind, erkennt auch Nietzsche an. Nur dass bei ihm der Traum
auch ins wache Bewusstsein hineinragt, so dass auch in
diesem der Mensch Nietzsche über ein Doppel-Ich verfügt,
indem er von sich behauptet, gewöhnlicher „Mensch" und
„Uebermensch", Werkzeug und Schöpfer, „Nietzsche" und
„Zarathustra" (sein alter ego, sein höheres Ich) zu sein, wie
sich dieser Gedanke namentlich in seinem populärsten
Werke: „Also sprach Zarathustra" in hochpoetischer Einkleidung
als Traumerzählung durchgeführt findet. „Der
Traum, sagt er, zeigt den Menschen bildlich gesprochen am
nacktesten. Er zeigt uns uns selbst, so wie wir wirklich
sind und nicht wie wir am Tage zu sein scheinen. Was
man mitunter im Wachen nicht genau weiss und fühlt, ob
man gegen eine Person ein gutes oder ein schlechtes Gewissen
hat, darüber belehrt uns völlig unzweideutig der Traum"
*) Franz Unger\ Friedrick Nielzsche's Träumen und Sterben. München,
franz C. Michly 1900. 25 S. Preis 80 Pf.
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