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446 Psychische Studien. XXVII. Jahrg. 7. Heft. (Juli 1900.)
zu verletzen. Gewöhnlich stellt man sich dabei eine mächtige
Person vor, die gleich einem Befehlshaber über seine
Truppen hinweg, ihr „Werde!" mit gewaltiger Stimme
ruft. Auch das klingt noch versöhnlich, sich den Weltenmeister
wie einen einsamen, vergrämten Mann, der sich endlich aus
seiner Trübniss losreisst, und den leeren, wüsten Dunstkreis
um sich herum, mit lebendigen Wesen seines eigenen Geschlechts
bevölkert, zu denken. Diese Ansicht ist den
Rationalisten zur Zeit Schillert eigen. Aber es giebt ernste,
scharfsinnige Denker, deren Ideen zur Erklärung der Weltschöpfung
nichts weniger als versöhnlich sind, und der
Geist, in welchen sie wie ein unsichtbares Saatkorn fallen,
ist finster und verschlossen und lange, lange währt es, ehe
er Früchte bringt, die als gesunde Nahrung jedermann
geboten werden können, wenn man anders nicht mehr
schaden als nützen will
Eine grosse Anzahl der heutigen Menschen bildet sich
nun ein, es sei würdiger und geistvoller, sich auf einen
entschieden anti-biblischen Standpunkt zu stellen und jenen
zur Zeit Rousseau's und Diderofs einmal Mode gewesenen
Anschauungen zu huldigen. Sie lieben es auch mehr einen
modernen Professor zu bewundern, als jene uralten Weisen,
welche die sogenannten Schöpfungsmythen in der Genesis
verfasst haben. Die grosse Masse Hebt so etwas und gefällt
sich ungemein in dem etwas modernisirten, altfränkischen
Gewaride der Aufklärer, so lächerlich es auch sein mag. Die
Philosophie des Descartes} die Monadenlehre des Leibniz oder
die Kontraktions-Energie Voigfs, reden sie sich ein,
giebt ihnen mehr Aufklärung als die biblische Darstellung,
die allerdings jedem Hausknecht zugänglich ist. Aber die
Leute sind nicht ehrlich in ihrer Eitelkeit; denn anstatt
mit diesem philosophischen „Wust*1 wie gereiftere Männer
die Systeme zu nennen pflegen, sich gescheidter zu machen,
verwirren sie ihre fünf Sinne so, dass sie zuguterletzt mit
sich selbst nicht mehr eins sind und kein vernünftiger
Gedanke mehr ihrem Geist entspringt. Sie waren mit ihrer
Vernunft auf Abenteuer ausgegangen und müssen es nun
erleben, wie verlorene Söhne zurückzukehren. Und wie
heimisch fühlen sie sich alsdann in den alten, ewig gleichen
Gebieten ihrer ersten Jugend!
So, wie nämlich die Genesis die Weltschöpfung darstellt,
widerspricht sie absolut nicht den neuesten Errungenschaften
der Naturforschung.*) Alles Leben ist ein chemischer
*) Wir bemerken ausdrücklich, dass wir obigen geistreichen Ausführungen
des geschätzten Herrn Verfassers hinsichtlich ihrer wissenschaftlichen
Haltbarkeit nicht beipflichten können. Die Red.
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