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452 Psychische Studien. XXVII. Jahrg. 7. Heft. (Juli 1900,)
erforderten, um beweiskräftig zu sein. Mit herzlichem Gruss
Ihr Max Bahn.
c) Empfindungen eines Abgestürzten. Wie
der plötzlich in den Alpen Verunglückte in seinen letzten
Lebenssekunden empfindet, das erörterte der Züricher
Geologie-Professor Heim, Mitglied des schweizerischen Alpenklubs
, kürzlich in einem Vortrag, den Karl Prochaskah
Illustrirte Monatsbände wiedergeben. Man macht sich, wie
Professor Heim ausführte, über die Abstürze in den Bergen
meist schreckliche Vorstellungen. Man denkt sich die äusserste
Verzweiflung, die grösste Pein, die furchtbarsten Schmerzen,
und man meint, die Mienen der entstellten Todten müssten
angstverzerrt sein. Es ist aber, wie der schweizerische Gelehrte
ausführt, nicht so. Ob es sich um Sturz über eine
Felswand, um Sturz über Eis und Schnee, um Absturz mit
einer Lawine oder in einem Wasserfall handelt, kommt dabei
nicht wesentlich in Betracht. Der Todte freilich kann nicht
mehr erzählen, was er empfunden hat. Dafür haben diejenigen,
die solche Unglücksfälle erlebten, aber noch mit knapper
Noth dem Tode entrannen, schon das Gleiche empfunden
wie die Todtgebliebenen. Ganz besonders lässt sich dies in
allen den .Fällen annehmen, wo Bewusstlosigkeit eingetreten
ist. Derjenige aber, der wieder wie vom Tode erwacht, kann
genau erzählen, wie das Sterben durch einen plötzlichen
Unglücksfall empfunden wird. Bei der grossen Mehrzahl der
Verunglückten ergeben sich, unabhängig vom Grade ihrer
Bildung, durchaus die gleichen Erscheinungen, nur graduell
werden sie verschieden empfunden. Angesichts des Todes
durch einen plötzlichen Unglücksfall tritt bei fast allen der
gleiche Zustand ein, und zwar ein ganz anderer Zustand,
als angesichts einer weniger plötzlich eintretenden Todesursache
. Er lässt sich kurz wie folgt charakterisiren: Es
wird kein Schmerz empfunden, ebenso wenig lähmender
Schreck, wie er bei kleinerer Gefahr (Brandausbruch u. s. w.)
erscheinen kann, keine Angst. Es giebt da keine Spur von
Verzweiflung, keine Pein, vielmehr herrscht ruhiger Ernst,
tiefe Resignation, geistige Sicherheit und Raschheit.
Die Gedankenthätigkeit ist enorm, wohl auf die
hundertfache Geschwindigkeit oder Intensität gesteigert; die
Verhältnisse wie die Eventualitäten des Ausganges werden
weit hinaus objektiv klar überblickt, keinerlei
Verwirrung trittein. DieZeit scheint sehr verlängert
. Man handelt blitzschnell und überlegt. In zahlreichen
Fällen erfolgt ein völliger Bückblick in die
ganze eigene Vergangenheit. Zuletzt hört der Stürzende
oft schöne Musik und fällt dann in einen herrlichen
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